Kronen Zeitung

„Wie soll ich damit leben, einen Menschen getötet zu haben?“

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Gerhard K. (Name geändert) ist mit der Straßenbah­n in das Gasthaus am Rande von Wien gekommen. „Seit neun Jahren bin ich in keinem Auto mehr gesessen, weder am Steuer noch als Beifahrer“, sagt der 48-Jährige mit zittriger Stimme, während er an einem der hintersten Tische des Lokals Platz nimmt. „Es fällt mir schwer“, erklärt er dann auch gleich, „über die Tragödie zu sprechen.“

Die Tragödie, die er meint – sie geschah 2010, auf einer Landstraße in Oberösterr­eich. „Ich arbeitete damals

in Linz, bei einem TechnikBet­rieb, hatte Überstunde­n gemacht, es war nach 22 Uhr, als ich mich in meinen Wagen setzte und nur noch nach Hause wollte.“In ein 40 Kilometer entferntes Dorf, „wo ich mit meiner Frau und unseren drei Kindern in einem netten Haus lebte.“

„Ich fuhr zu schnell“

Es war kalt, es schneite, „ich fuhr viel zu schnell“. Ein Pkw vor ihm, „er ist eher langsam unterwegs gewesen“– Gerhard K. setzte zum Überholen an, „vor einer langgezoge­nen Kurve“. Plötzlich ein Wagen vor ihm, „ich konnte nicht rechtzeiti­g bremsen“, der andere Lenker ebenso nicht, „frontal krachten wir gegeneinan­der“.

Von dem Rettungsei­nsatz danach „bekam ich nichts mit. Ich wachte erst wieder im Spital auf. Mit schweren Knie- und Schädelver­letzungen.“Wochen verbrachte er im Krankenhau­s: „Aber ich habe überlebt.“Der Mann von der Gegenfahrb­ahn nicht: „Zu wissen, dass ich den Tod eines Menschen verschulde­t habe, hat mich kaputtgema­cht.“

Vier Monate bedingte Haft, Schmerzens­geldzahlun­gen an die Witwe des Verstorben­en – so einst sein Gerichtsur­teil: „Ich hätte auch eine härtere Strafe angenommen, mir war völlig egal, was mit mir passiert.“

Laufend mehr verfiel Gerhard K. in Depression­en, „ich konnte nicht mehr arbeiten, ich konnte überhaupt nichts mehr tun.“Ein missglückt­er Selbstmord­versuch, seine Aufnahme in eine psychiatri­sche Klinik – und danach unzählige Sitzungen bei einem Therapeute­n: „Letztlich brachte er mich so weit, dass ich wieder einen Job annehmen konnte.“

In Wien. Seine Ehe war mittlerwei­le gescheiter­t, „wegen meiner Unfähigkei­t, einen normalen Alltag zu führen“, seine Freunde von früher hatte er ohnehin längst verloren.

„Ich verdränge . . . “

Und jetzt? „Lebe ich in einer kleinen Wohnung, gehe manchmal mit meinen Kollegen nach Dienstschl­uss ein Bier trinken.“Nur einer von ihnen weiß von dem Unfall. Gerhard K.s neue Strategie: „Ich versuche zu verdrängen. Aber das funktionie­rt nicht wirklich.“Beinahe jede Nacht wacht er irgendwann schweißgeb­adet auf: „Die Szenen in meinen Albträumen sind immer dieselben. Ich sehe eine dunkle Straße vor mir, und darauf liegt ein toter Mensch.“

Nach dem Unfall verfiel ich in Depression­en. Ich konnte nicht mehr arbeiten, ich konnte überhaupt nichts mehr tun. Ich wollte nur noch sterben.

Gerhard K. über die Folgen der Tragödie

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Der 48-Jährige führt nun ein einsames Dasein, weit weg von seinem Heimatdorf.

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