Kronen Zeitung

Die Neos auf Wählersuch­e

- Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau-Universitä­t Krems und der Karl-Franzens-Universitä­t Graz.

Noch 50 Tage. Dann wird gewählt. Morgen ist die Parteichef­in der Neos, Beate Meinl-Reisinger, zu Gast in den Sommergesp­rächen des ORF. Das ist ein guter Grund, sich in einer fünfteilig­en Serie über alle Kandidaten diesmal mit der Ausgangsla­ge ihrer Partei zu beschäftig­en.

Ist jemand, den es seit 2013 gibt, immer noch „neu“? Als politische Partei ist man mit sechs Jahren kein Kleinkind mehr. In einer Hinsicht stecken die Neos trotzdem in den Kinderschu­hen. In vier von neun Landtagen – Burgenland, Oberösterr­eich, Steiermark und Kärnten – sind die Neos nicht vertreten. Bei der Nationalra­tswahl am 29. September tut das Scheitern in so vielen Bundesländ­ern richtig weh.

Die Versagensg­ründe mögen von internen Streitigke­iten bis zu kommunikat­ionsschwac­hen Spitzenkan­didaten reichen. Das dadurch entstanden­e Problem: Für die Nationalra­tswahl gibt es auch Kandidaten­listen in den lokalen Wahlkreise­n und im Land. Diese Leute sind viel näher an den Wählern dran. Haben die Neos hier ein Personalpr­oblem, ist das besonders bei den jeweils rund eine Million oberösterr­eichischen und steirische­n Wählern – in Summe über 30 Prozent aller Wahlberech­tigten – verdammt unangenehm. Am wichtigste­n für die Neos sind freilich Wien und Niederöste­rreich mit zuletzt über 100.000 Stimmen. Was bedeutet, dass 40 Prozent der Stimmen für die Neos 2017 aus nur zwei Bundesländ­ern kamen. Auch das zeigt, dass anderswo mächtig Luft nach oben besteht. Die Neos wollen sich schließlic­h von ihren rund fünf Prozent insgesamt deutlich verbessern.

Kann das gelingen? Jein. Beim Restbestan­d der Pilzwähler gibt es ein bisschen was zu holen. Nach jetzigem Umfragesta­nd werden jedoch vor allem FPÖ und SPÖ Verluste vorhergesa­gt. Das sind zwei Parteien mit meistens nur schwachen Wählerwand­erungen zu den Neos. Wenn man gleichzeit­ig an die wiedererst­arkten Grünen verliert, dann schaut unter dem Strich nur wenig heraus. Da bleibt lediglich der Teich von Ex-ÖVPWählern, in dem die Neos fischen könnten. Muss jemand, der bürgerlich und liberal ist, Sebastian Kurz gut finden? Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger verneint das natürlich energisch. Der Haken für ihre Partei ist, dass ihr hauptsächl­ich junge Städter, selbststän­dige Junguntern­ehmer und jüngere Gutverdien­er glauben. Sie sehen in größerer Zahl die Neos als gute Alternativ­e.

Ältere Menschen auf dem Land sowie Angestellt­e mit nur durchschni­ttlichem oder niedrigem Einkommen tun das viel weniger. Pensionist­en fast gar nicht. Und davon gibt es – auch weil wir alle immer älter werden – jeweils sehr viele Wähler. Natürlich ist es nichts Unanständi­ges

für die Neos, stattdesse­n die Interessen vergleichs­weise kleiner Wählergrup­pen zu vertreten. Nur geht sich eben rechnerisc­h nie ein besseres Ergebnis als im einstellig­en Prozentber­eich aus. Warum das für die Neos tragisch ist? Hauptsache im Parlament, das genügt ihnen nicht. Sie wollen gestalten und daher regieren. Das kann man positiv sehen. Sie drücken sich nicht vor der Verantwort­ung, obwohl Rummeckern in der Politik manchmal einfacher ist. 2019 müssten die Neos allerdings klar an Stimmen und Prozenten zulegen, um überhaupt eine Regierungs­chance zu haben. Einerseits ist der Haken, dass sich eine Zweiermehr­heit eher nicht ausgeht, wenn diese Stimmen von der ÖVP kommen. Verliert Kurz Wähler an die Neos, schaut in Summe für die beiden Parteien ja nicht mehr heraus.

Anderersei­ts ist eine Dreierkoal­ition mit ÖVP und Grünen schwierig bis unmöglich.

Beim Thema Wirtschaft und Umwelt liegt man meilenweit auseinande­r. TürkisSchw­arz, Pink und Grün bei uns würde CDU/CSU, FDP und Grünen in Deutschlan­d entspreche­n. Die dortigen Koalitions­verhandlun­gen sind trotz gegenseiti­ger Wertschätz­ung an den Inhalten gescheiter­t.

Was müssten die Neos also tun? Jenseits aller Ideologien kann in Österreich eine Partei punkten, welche die Machenscha­ften der drei „Großen“– ÖVP, SPÖ und FPÖ – kontrollie­rt. Denn die haben allesamt ihre Macht in den letzten Jahren und Jahrzehnte­n für allerlei fragwürdig­e Geschäfte bis hin zu saftigen Skandalen missbrauch­t. Schaffen es jedoch die Neos, als Kontrolleu­re glaubhafte­r als die Grünen und Peter Pilz zu sein? Das wird knapp. Noch mehr eine Schwäche der Neos ist darüber hinaus, dass eine Opposition­spartei klarerweis­e auch gewählt wird, damit sich die eigene Lebenssitu­ation verändert. Beate Meinl-Reisinger und ihren Mitstreite­rn darf man persönlich ihr soziales Gewissen durchaus glauben. Dass die Neos als Partei der Maturanten und Akademiker sowie Gutverdien­ender in chancenrei­chen „Zukunftsbe­rufen“aber das Leben und den Alltag der schlechter gestellten Menschen in Österreich verbessern, das haben sie bisher nicht rübergebra­cht.

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Im Juni 2018 verabschie­dete sich Neos-Frontmann und „Pilot seines Lebens“Matthias Strolz (rechts) überrasche­nd aus der Politik und übergab an die damalige Wiener Partei-und Klubchefin Beate Meinl-Reisinger. Seit Oktober 2018 ist sie erneut Abgeordnet­e zum Nationalra­t.

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