Die Neos auf Wählersuche
Noch 50 Tage. Dann wird gewählt. Morgen ist die Parteichefin der Neos, Beate Meinl-Reisinger, zu Gast in den Sommergesprächen des ORF. Das ist ein guter Grund, sich in einer fünfteiligen Serie über alle Kandidaten diesmal mit der Ausgangslage ihrer Partei zu beschäftigen.
Ist jemand, den es seit 2013 gibt, immer noch „neu“? Als politische Partei ist man mit sechs Jahren kein Kleinkind mehr. In einer Hinsicht stecken die Neos trotzdem in den Kinderschuhen. In vier von neun Landtagen – Burgenland, Oberösterreich, Steiermark und Kärnten – sind die Neos nicht vertreten. Bei der Nationalratswahl am 29. September tut das Scheitern in so vielen Bundesländern richtig weh.
Die Versagensgründe mögen von internen Streitigkeiten bis zu kommunikationsschwachen Spitzenkandidaten reichen. Das dadurch entstandene Problem: Für die Nationalratswahl gibt es auch Kandidatenlisten in den lokalen Wahlkreisen und im Land. Diese Leute sind viel näher an den Wählern dran. Haben die Neos hier ein Personalproblem, ist das besonders bei den jeweils rund eine Million oberösterreichischen und steirischen Wählern – in Summe über 30 Prozent aller Wahlberechtigten – verdammt unangenehm. Am wichtigsten für die Neos sind freilich Wien und Niederösterreich mit zuletzt über 100.000 Stimmen. Was bedeutet, dass 40 Prozent der Stimmen für die Neos 2017 aus nur zwei Bundesländern kamen. Auch das zeigt, dass anderswo mächtig Luft nach oben besteht. Die Neos wollen sich schließlich von ihren rund fünf Prozent insgesamt deutlich verbessern.
Kann das gelingen? Jein. Beim Restbestand der Pilzwähler gibt es ein bisschen was zu holen. Nach jetzigem Umfragestand werden jedoch vor allem FPÖ und SPÖ Verluste vorhergesagt. Das sind zwei Parteien mit meistens nur schwachen Wählerwanderungen zu den Neos. Wenn man gleichzeitig an die wiedererstarkten Grünen verliert, dann schaut unter dem Strich nur wenig heraus. Da bleibt lediglich der Teich von Ex-ÖVPWählern, in dem die Neos fischen könnten. Muss jemand, der bürgerlich und liberal ist, Sebastian Kurz gut finden? Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger verneint das natürlich energisch. Der Haken für ihre Partei ist, dass ihr hauptsächlich junge Städter, selbstständige Jungunternehmer und jüngere Gutverdiener glauben. Sie sehen in größerer Zahl die Neos als gute Alternative.
Ältere Menschen auf dem Land sowie Angestellte mit nur durchschnittlichem oder niedrigem Einkommen tun das viel weniger. Pensionisten fast gar nicht. Und davon gibt es – auch weil wir alle immer älter werden – jeweils sehr viele Wähler. Natürlich ist es nichts Unanständiges
für die Neos, stattdessen die Interessen vergleichsweise kleiner Wählergruppen zu vertreten. Nur geht sich eben rechnerisch nie ein besseres Ergebnis als im einstelligen Prozentbereich aus. Warum das für die Neos tragisch ist? Hauptsache im Parlament, das genügt ihnen nicht. Sie wollen gestalten und daher regieren. Das kann man positiv sehen. Sie drücken sich nicht vor der Verantwortung, obwohl Rummeckern in der Politik manchmal einfacher ist. 2019 müssten die Neos allerdings klar an Stimmen und Prozenten zulegen, um überhaupt eine Regierungschance zu haben. Einerseits ist der Haken, dass sich eine Zweiermehrheit eher nicht ausgeht, wenn diese Stimmen von der ÖVP kommen. Verliert Kurz Wähler an die Neos, schaut in Summe für die beiden Parteien ja nicht mehr heraus.
Andererseits ist eine Dreierkoalition mit ÖVP und Grünen schwierig bis unmöglich.
Beim Thema Wirtschaft und Umwelt liegt man meilenweit auseinander. TürkisSchwarz, Pink und Grün bei uns würde CDU/CSU, FDP und Grünen in Deutschland entsprechen. Die dortigen Koalitionsverhandlungen sind trotz gegenseitiger Wertschätzung an den Inhalten gescheitert.
Was müssten die Neos also tun? Jenseits aller Ideologien kann in Österreich eine Partei punkten, welche die Machenschaften der drei „Großen“– ÖVP, SPÖ und FPÖ – kontrolliert. Denn die haben allesamt ihre Macht in den letzten Jahren und Jahrzehnten für allerlei fragwürdige Geschäfte bis hin zu saftigen Skandalen missbraucht. Schaffen es jedoch die Neos, als Kontrolleure glaubhafter als die Grünen und Peter Pilz zu sein? Das wird knapp. Noch mehr eine Schwäche der Neos ist darüber hinaus, dass eine Oppositionspartei klarerweise auch gewählt wird, damit sich die eigene Lebenssituation verändert. Beate Meinl-Reisinger und ihren Mitstreitern darf man persönlich ihr soziales Gewissen durchaus glauben. Dass die Neos als Partei der Maturanten und Akademiker sowie Gutverdienender in chancenreichen „Zukunftsberufen“aber das Leben und den Alltag der schlechter gestellten Menschen in Österreich verbessern, das haben sie bisher nicht rübergebracht.