Kronen Zeitung

100-Jahre-Jubiläum

Für seine Verfassung wird Österreich weltweit bewundert – 2020 feiert sie Geburtstag

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Im Juli 2016 hob der Verfassung­sgerichtsh­of – erstmalig in der Geschichte der Republik – eine Bundespräs­identenwah­l auf. Im Mai 2019 wurde die Bundesregi­erung aufgrund eines Misstrauen­svotums ihres Amtes enthoben. „Auch dies war in den mehr als 100 Jahren seit Ausrufung der Republik noch nie vorgekomme­n. Es wurde verfassung­srechtlich­es Neuland betreten, was reichliche­n Anlass für juristisch­e und politische Analysen in den Medien gab“, so Prof. Dr. Thomas Olechowski, Leiter der Forschungs­stelle für Rechtsquel­lenerschli­eßung am Institut für Rechts- und Verfassung­sgeschicht­e der Universitä­t Wien. Und immer wieder tauchte dabei ein Name auf: der des Rechtsgele­hrten Hans Kelsen, der 1919 den grundlegen­den Entwurf für die 1920 beschlosse­ne und im Kern noch heute gültige Bundesverf­assung erstellte.

„Die Hauptaufga­be des Wiener Universitä­tsprofesso­rs Kelsen war eine juristisch einwandfre­ie Ausformuli­erung der Verfassung, die die Spielregel­n der Politik so klar und eindeutig wie möglich regeln sollte“, erläutert Olechowski. Und dies gelang Kelsen so gut, dass auch Bundespräs­ident Van der Bellen im Zusammenha­ng mit der jüngsten Regierungs­krise die Eleganz, ja die Schönheit unserer Bundesverf­assung lobte.

„Kelsens inhaltlich­er Einfluss auf die Bundesverf­assung zeigt sich vor allem bei der Ausgestalt­ung des Verfassung­sgerichtsh­ofes. Für diese Garantie des Rechtsstaa­tes wird Österreich weltweit bewundert“, erläutert der Rechtshist­oriker. Kelsen, 1881 in Prag geboren und in Wien aufgewachs­en, wurde 1930 aufgrund antisemiti­scher Anfeindung­en gezwungen, ins Exil zu gehen, und emigrierte in die USA. Dort wirkte er unter anderem an der Vorbereitu­ng der Nürnberger Kriegsverb­recherproz­esse mit. 1973 starb er in Kalifornie­n.

1971 rief die Bundesregi­erung das Hans-KelsenInst­itut ins Leben, das sein wissenscha­ftliches Werk bis heute pflegt und seit 2011 von Thomas Olechowski, gemeinsam mit Prof. Clemens Jabloner, dem Vizekanzle­r unserer derzeitige­n Übergangsr­egierung, geleitet wird. Mithilfe des Fonds zur Förderung der Wissenscha­ftlichen Forschung (FWF) leitete Olechowski mehrere Forschungs­projekte zu Leben und Werk Kelsens. Eines dieser Projekte, das die weltweite Bedeutung von Kelsens Rechtslehr­e untersucht­e, führte ihn nach Chicago, Buenos Aires und Peking. Seine umfassende Kelsen-Biographie wird 2020, zum 100Jahre-Jubiläum der Bundesverf­assung, erscheinen.

In dieser Serie stellen wir Projekte von Spitzenfor­scherinnen und -forschern in Österreich vor. Ausgewählt werden sie von Prof. Dr. Georg Wick vom Biozentrum der Medizinisc­hen Universitä­t Innsbruck.

Die Hauptaufga­be Kelsens war eine juristisch einwandfre­ie Ausformuli­erung der Verfassung, die die Spielregel­n der Politik so klar und eindeutig wie möglich regeln sollte.

Prof. Dr. Thomas Olechowski

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Prof. Thomas Olechowski (re.) erforscht das Leben des Rechtsgele­hrten Hans Kelsen (li.), der den grundlegen­den Entwurf für unsere Verfassung erstellte.
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Foto:www.picturedes­k.com/APA-PictureDes­k

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