Tag der Freude,
Man hörte die Signale, und endlich war es so weit: Deutschland im Freudentaumel! Eine Mutter auch.
Heute vor 30 Jahren – da saß eine junge Mutter in Wien vor dem Fernseher, und die Tränen quollen. Was für Freuden- und Jubelbilder da über sämtliche durchgeschaltete TV Kanäle aus Berlin kamen.
Heute vor 30 Jahren gab es einen kleinen Buben, der manchmal schlafwandelte. Der tapp, tapp, tapp mit bloßen Füßchen aus seinem Zimmer kam und seine Mama weinen sah. Erschrocken ist. Auch gleich losheulte. Die Mama nahm den Buben auf den Schoß, tröstete ihn, sagte, dass man
auch vor Glück weinen kann. Und dass da gerade Geschichte geschrieben wird, die du, Bub, jetzt nicht verstehen wirst. Aber dann, wenn du größer bist und erwachsen. Und dass dieses friedliche Wunder just an einem besonderen Tag geschieht, der schon einmal Geschichte schrieb, ganz furchtbar traurige, dunkle Geschichte. Als Schaufenster zerbarsten – ein Scherbengericht, diese Nacht des Pogroms. Aber jetzt, Bub, genau jetzt, ist einfach nur ein Grund zum Freuen. Schau nur, wie sie auf diese Mauer klettern, die Menschen trennte und Familien auseinanderriss, die alle dieselbe Sprache sprechen, hüben wie drüben. Jetzt, Bub, umarmen völlig fremde Menschen einander, die wieder „einig Volk“sein wollen. So schön war das, und jeder glaubte, das bleibt ewig so.
Heute, genau heute, ist der Bub 33 Jahre alt. Heute weiß er um die Bedeutung eines 9. Novembers, nicht nur, weil es auch sein besonderer Tag ist. Heute lebt der Bub – gerade selbst Papa geworden – in Dresden. Genau dort, wo – wie in Leipzig – Protestdemos für Freiheit den Anfang zu diesem 9. November machten. Man sollte sich mit Stolz daran erinnern, wenn nun die AfD marschiert . . .
Heute, am 30. Jahrestag des Mauerfalls, wird er vielleicht auch auf die Straße gehen. Zum Feiern. Dass er ohne Probleme und Kontrollen zwischen Wien und Dresden hin- und herfahren kann. Heute, mein geliebter Sohn, hast du Geburtstag als freier Mann in einer freien Welt. Feiere fröhlich!