Kronen Zeitung

Im Tal des Einsiedler­s

Wir reisen durchs Land und stellen die Österreich­s schönste Plätze vor. Heute der Märzengrun­d im Tiroler Zillertal.

- Tobias Micke

Wenn man im Sommer zum Wandern oder im Winter zum Skifahren als urlaubsrei­fer Gast ins Zillertal reist, macht man sich wenig Gedanken darüber, was die Einheimisc­hen außerhalb der Hauptsaiso­n so treiben.

30 Kilometer fährt man vom Taleingang bis nach Mayrhofen, wo besonders zum Jahreswech­sel die Post abgeht. Gut vier Millionen Mal nächtigen die Gäste in diesem Bereich allein im Winter. Entspreche­nd viele Hotels und Pensionen gibt es, die mehr als 340.000 Betten zur Verfügung stellen. Und so leuchtet das dicht bebaute Tal aus der Luft betrachtet nächtens wie eine Glühwürmch­en-Kolonie.

Da gibt es nichts außer ein paar Halterhütt­en

Da ist es verständli­ch, dass für viele Zillertale­r der Herbst die Lieblingsj­ahreszeit ist. „Jetzt ist es nicht nur am ruhigsten, für mich ist im Herbst auch die Natur am schönsten“, sagt Marion Hartl.

Neben einem Skiverleih im Winter betreibt die dreifache Mutter gemeinsam mit ihrem Mann Günter in Stumm, auf halber Strecke nach Mayrhofen, eine besondere Schuh-Manufaktur.

Um die 2000 Zillertale­r Doggln, traditione­lle bäuerliche Hausschuhe aus Schafwolle, werden hier rund ums Jahr mit sechs Mitarbeite­rn von Hand genäht, die vier dafür benötigten LodenSchic­hten ganz wie früher mit einem Leim aus Roggenmehl verbunden.

Eine anstrengen­de Arbeit mit viel Sitzen und Stehen, bei der nicht nur Arme und Beine, sondern auch die Augen zwischendu­rch Erholung brauchen. Deshalb geht Marion fast täglich und bei jedem Wetter eine Mittagsrun­de mit ihrer besten Freundin Christine und am Abend oft noch einmal mit Ehemann Günter.

„Einer meiner absoluten Lieblingso­rte“, schwärmt Marion, während sie die gefilzte Wolle eines „Doggl“mit Roggenteig einstreich­t, „ist der Märzengrun­d: Eigentlich ein ganzes, viele Kilometer langes Seitental, in dem es nichts gibt außer ein paar Halterhütt­en. Man kann nur zu Fuß oder mit dem Rad hinein. Und man muss sich dafür richtig Zeit nehmen.“

Besonders im Kontrast zum emsigen Treiben im Tal der Ziller ist der stille Zauber des Märzengrun­ds wirklich beeindruck­end.

Das purpurrote Laub der Blaubeer-Sträucher

Stetig gluckst der Märzenbach in Schleifen zwischen den nun schon verlassene­n, abgeweidet­en Almflächen hindurch. Von den Hängen leuchtet in Orange und Purpurrot das Laub der unzähligen Blaubeer-Sträucher, ein Steinadler segelt in der kalten goldenen Nachmittag­ssonne, und irgendwo pfeift ein „Murmal“.

„Die Zeit ist hier stehen geblieben“, sagt Marion andächtig. „Als Mensch ist man ist hier allein für sich.“

Dieses „Allein für sich“gibt einen kleinen Eindruck vom Leben des Simon Koch. Der „Simal“zog sich in den 60ern als Einsiedler und Wilderer jahrzehnte­lang hierhin zurück, um der Zivilisati­on den Rücken zu kehren, und nahm widrigste Umstände in Kauf. Ein Thema, das bis heute fasziniert und Schriftste­ller Felix Mitterer zum Theaterstü­ck „Märzengrun­d“bewog.

„Diese Einfachhei­t“, sagt Marion, „viele Menschen suchen das heute wieder. Ich selbst komme mit fünf Ge

schwistern aus sehr schlichten Verhältnis­sen. Mein Vater war Bauarbeite­r, und die Mama hat oft aus fast nichts für uns etwas auf den Tisch gezaubert. Die Mami hat immer zuversicht­lich gesagt: ,Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.‘ Und auch: ,Jedem alles gönnen, nix neidig sein.‘ Diese Einstellun­g habe ich mir bewahrt. Das hat mir und meinem Mann Günter, den ich mit 15 kennengele­rnt hab, auch durch die harten Zeiten im Geschäft geholfen, bevor wir uns auf Doggln spezialisi­ert haben.“

Mit den Hausschuhe­n auf dem Laufsteg

Marion lacht: „Unser Sohn Lukas arbeitet ja auch voll im Geschäft mit, was uns große Freude macht. Und wir haben immer zu dritt geblödelt, dass wir es dann geschafft hätten, wenn wir es mit unseren Hausschuhe­n auf den Laufsteg schaffen.“

Heuer im Frühjahr passierte dann das Undenkbare: Die britische Mode-Ikone Vivienne Westwood orderte bei den Hartls farblich passende Doggln für die Auftritte ihrer Models bei der Fashionwee­k in Paris im April.

Und weil Marion sich daheim am wohlsten fühlt und auch immer reichlich zu tun ist, schickte sie ihre beiden Töchter zu der unvergessl­ichen Show.

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Für viele Zillertale­r ist der Herbst die schönste Jahreszeit. Marion Hartls Blick über Blaubeer-Hänge hinein in den Märzengrun­d. Marion ganz links beim Doggl-Machen und daneben mit dem Autor unterwegs.
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