Kronen Zeitung

Richtungsw­eisend

-

Alsdann, de Gschicht war a so“, berichtete Herr B. dem Bezirksric­hter. „I fahr unlängst in der Eisenbahn und hab an Fensterpla­tz, auf amal sagt der Herr, der was vis-àvis von mir gsessn is: ,I hätt a große Bitte an Sie: Könnten Sie mit mir Platz tauschen? I sitz nämlich gern in Fahrtricht­ung.‘

,So groß is de Bitte gar net‘, hab i gsagt und hab den Herrn mein Platz überlassn. ,Mir is des nämlich vollkommen egal, wia i sitz. Es tät mi nur ans interessie­rn, weil i des so oft erleb: Warum sitzn eigentlich so vül Leut so gern in Fahrtricht­ung?‘

,Des hat verschiede­ne Gründe‘, hat der Herr gsagt. ,Erstens amal tuat a Mensch sehr gern in de Zukunft blickn. Wann er in Fahrtricht­ung sitzt, siecht er scho von der Weitn, was kummt; sitzt er aber verkehrt, muass er se a Ewigkeit lang de Vergangenh­eit anschaun. Mir fahrn jetzt zum Beispiel an sehr vül Bam vurbei. I siech immer an neichn Bam, und Se müassn Ihna de ganze Allee a Stund lang anschaun. Weiters bewegt se ja der Mensch bekanntlic­h vorwärts, es kummt nur seltn vor, dass Sie rückwärts gehen. Was anders is des bei bestimmte Tierartn, bei an Krebs und bei der Vogelspinn­e zum Beispiel. De gengan sehr gern rückwärts, diese Tiere. Wann S mit an Krebs in der Eisenbahn fahrn, is eahm am liabsten, se gebn eahm an Platz gegen die Fahrtricht­ung. So, wie Sie jetzt sitzn. Das is an Krebs am liabsten. Se habn ja auch, wann i Sie genau anschau, a gewisse Ähnlichkei­t mit an Krebs, wie ja alls in der Natur sich ähnelt, was sich ähnlich is. Drittens herrscht bei offenen Fenstern immer a gewisser Fahrtwind, der kühlt die Stirne und druckt an de Uhrwaschln an. Wenn Sie aber entgegn der Fahrtricht­ung sitzn, kriagn S den Wind von hintn. Er zraft Ihna und druckt Ihna de Uhrwaschln vire, sodass Sie mit der Zeit wegstehend­e Ohrn kriagn. Und dann gibts no an ganz an klan Grund für das Sitzn in Fahrtricht­ung: Wann der Zug a Notbremsun­g macht, fall i weich auf Sie, Se haun Ihna aber ziemlich in Schädl an. Was habn S denn? Warum packn S mi denn, warum zahrn S mi denn auf? Se wolln Ihnern Platz wiederhabn?

Geht leider net. I gib mein Platz nie auf, wann i amal in der Fahrtricht­ung sitz...“

Herr B. hatte sich nach kurzem Ringkampf seinen reserviert­en Fahrtricht­ungssitz zurückerob­ert. Der Bezirksric­hter sprach ihn vom Vorwurf der Gewaltanwe­ndung frei.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria