„Herr Lockl, kann es auch scheitern?“ Der Polit-Stratege über eine türkis-grüne Koalition
Wenn ÖVP und Grüne nächste Woche in Regierungsverhandlungen eintreten, zieht er im Hintergrund die Fäden. Mit der „Krone“spricht Lothar Lockl (50) über die Chancen von Türkis-Grün in der Welt, Widerstände und Stolpersteine und seine ganz private Öko-Bilan
Es ist später Freitagnachmittag, Lothar Lockl ist schon allein in seiner Agentur (halbe Million Euro Umsatz, sieben Mitarbeiter, beste City-Lage). Drüben im Winterpalais, 800 Meter entfernt, sitzen Kurz und Kogler an diesem Abend bei ihrem letzten Sondierungsgespräch. Als Präsidentenberater und ExGrüner (er hat seine Parteimitgliedschaft ruhend gestellt) ist Lockls Analyse der Lage derzeit besonders gefragt. Im Interview versprüht der 1,94 Meter große Stratege, den manche bereits als grünen Außenminister oder zumindest Koordinator einer schwarz-grünen Regierung handeln, Zweckoptimismus. Manche Antworten sind flammende Plädoyers auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit und klingen schon wie eine mögliche türkise Regierungserklärung – mit kräftigem grünem Anstrich.
Präsidentenmacher, grüne Hoffnung, graue Eminenz. In welcher Rolle sitzen Sie heute da?
Denkt kurz nach. – Was mir gefällt, ist quer- und vorzudenken. Trends, auch wenn erst ein kleiner Silberstreif am Horizont da ist, frühzeitig zu erkennen, selbst wenn die Sache vielleicht am Beginn viel zu groß oder gar utopisch erscheint. Der Kampf gegen Atomkraftwerke zum Beispiel, oder die Verhinderung der Gentechnik. Da hätte am Anfang auch keiner an einen Siegeszug geglaubt. Diese Herangehensweise hat mich mein ganzes berufliches Leben begleitet. Kommunizieren, motivieren, überzeugen, Widerstände abbauen, darum geht’s.
Sie waren 2003 Chefverhandler von Schwarz-Grün. Warum ist es damals gescheitert?
Nicht Chefverhandler. Ich war die rechte Hand von Alexander Van der Bellen, mein Vis-à-vis war Ursula Plassnik, die damals Kabinettschefin von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel war. Warum ist es gescheitert? Die Zeit war noch nicht reif. Man sah noch nicht die Chance einer Verbindung von Umwelt und Klimaschutz mit einer modernen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik.
Stünde Österreich heute anders da, wenn SchwarzGrün gekommen wäre?
Bestimmt. Es wäre eine Frischzellenkur für die österreichische Wirtschaft gewesen, man hätte Trends früher erkannt und Entwicklungen nicht verschlafen, die international heute Common Sense sind.
Kann es heute wieder scheitern?
Niemand kann den Ausgang der kommenden Regierungsverhandlungen prophezeien. Ich glaube, die Verhandler wissen es selber nicht. Aber: Ich bin ein Mensch, bei dem das Glas immer halbvoll ist, ein Grundoptimist. Deshalb würde ich es gerne positiv formulieren: Meine Vision ist, dass Österreich neben seinen Natur- und Kulturschätzen auch mit seiner Innovationskraft punktet. Die ganze Welt ist begeistert von unserer sauberen Luft, unserem guten Wasser, unseren Seen mit Trinkwasserqualität. Heimische Unternehmen haben die dafür notwendigen Technologien entwickelt. Dazu kommen unsere regionalen, biologischen Lebensmittel. Österreich kann in den nächsten fünf bis zehn Jahren ein Vorreiterland in Sachen Klimaschutz und moderner Wirtschaftspolitik werden. Ich bin überzeugt, da sitzen wir auf einem Riesenschatz. Ich hoffe, die künftige Regierung erkennt dieses Potenzial.
Das war jetzt ein leidenschaftliches Plädoyer, aber wäre das nicht auch ohne die Grünen möglich?
Jede Koalition wird sich mit Maßnahmen gegen die Klimakrise beschäftigen müssen. Aber es gibt sicher Regierungskonstellationen, die dies ernster nehmen werden als andere. Schauen wir
Niemand kann den Ausgang der kommenden Regierungsverhandlungen prophezeien. Ich glaube, die Verhandler wissen es selber nicht.
2003, als Schüssel eine schwarz-grüne Regierung verhandelt hat, sah man noch nicht die Chance einer Verbindung von Umwelt und Wirtschaft.
in die Welt: Ein Viertel der internationalen Finanzströme wird mittlerweile nach Nachhaltigkeits-Kriterien angelegt. Wir stehen vor einer Jahrhundertaufgabe, es geht ums Überleben der Menschheit, Klimaschutz ist weltweites Mega-Thema.
Hat der Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi recht, wenn er sagt, das macht für die Grünen alles nur Sinn, wenn sie zum Umwelt- auch das Finanzressort bekämen?
Was wichtig sein wird: Klimaschutz muss ein nationales Anliegen, ein Gesamtprojekt der künftigen Regierung sein. Das kann man aber nicht mit Ressorts oder Ministern messen.
Wären Sie da gern der Chefstratege? Oder lieber gleich Außenminister?
Ich bin seit zehn Jahren in der Privatwirtschaft und sehe keinen Grund, das zu ändern. Aber ich werde mich natürlich bemühen, einen
Beitrag zu leisten. Das tue ich aber auch jetzt schon.
Stimmt es, dass Sebastian Kurz auch mit Ihnen sondiert hat?
Nein. Ich bin ja nicht Teil des Sondierungsteams. Ich bin auch kein Parteipolitiker, das ist mir wichtig. Ich bin aber sicher ein Brückenbauer. Auch zwischen Umweltschützern oder Menschen, die sich bei „Fridays for Future“engagieren, und Politik bzw. Wirtschaft.
Eine Art Vermittler zwischen den Welten?
Na ja. Vielleicht habe ich ein gewisses diplomatisches Geschick. Wenn man versucht zu vermitteln, Brücken zu bauen, dann ist aber eine gewisse Vertraulichkeit wichtig. Daran halte ich mich.
Sind Türkis und Grün nicht doch zu verschieden? Oder passen sie vielleicht besser zusammen, als manche glauben?
Im positiven Sinn könnte es eine gute Reibung sein, weil das eben schon sehr unterschiedliche Parteien sind. Man sieht in den Bundesländern, wo die Grünen in fünf Regierungen sitzen, dass das sehr gut funktioniert. Auch in Deutschland waren Regierungen mit grüner Beteiligung alle stabil, haben gehalten. Es war oft schwierig, und es hat lange gedauert, aber am Ende war es erfolgreich.
Und wenn am Ende doch Türkis-Blau kommt?
Ob Sebastian Kurz wieder eine Koalition mit der FPÖ eingeht, ist natürlich seine Entscheidung. Eines ist aber klar: Ganz Europa schaut im Moment auf Österreich.
Sie haben eine grüne Vorzeige-Karriere hingelegt. Wie würde ein privater Öko-Check bei Ihnen zu Hause aussehen?
Ich bin auch kein Heiliger und muss meinen Lebensstil sicher noch etwas ändern. Ich bin aber begeisterter Bahnfahrer und Öffi-Benutzer, achte beim Einkauf auf regionale österreichische Produkte und habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich mit dem Flugzeug auf Urlaub fliege. Mein ökologischer Fußabdruck ist aber mit den Jahren deutlich besser geworden.
Ob Sebastian Kurz wieder Türkis-Blau eingeht, ist seine Entscheidung. Es ist aber keine Übertreibung zu sagen: Ganz Europa schaut im Moment auf Österreich.