Vergebung
Es war eine kleine Geste – aber eine mit einer großen Geschichte. Bei einem Gerichtsprozess in Hamburg gegen den 93-jährigen Bruno D. – einstiges SS-Mitglied, Wachmann im KZ Stutthof in Danzig und wegen Beihilfe zum Mord an 5230 Menschen angeklagt – ging der Nebenkläger Moshe Peter Loth auf ihn zu und nahm ihn in den Arm.
Davor hatte der 76-Jährige seine Geschichte erzählt, eine, die man nur schwer aushalten kann. Moshe kam in Gefangenschaft auf die Welt, mit seiner Mutter und ihm wurden u. a. Versuche in einer psychiatrischen Klinik gemacht. Während eines Gefangenentransports wurden die beiden getrennt, nach dem Krieg kam er in ein Waisenhaus. Wieder ein Ort des Grauens. Loth erzählt von Vergewaltigungen durch russische Soldaten, von Hinrichtungen – und davon, dass er abermals den Davidstern tragen musste. In den 50er-Jahren fand er seine Mutter wieder, die einen Amerikaner geheiratet hatte. Gemeinsam ziehen sie in die USA – und dort lernt er wegen seiner farbigen Verwandten die hässliche Fratze des Rassismus und des Ku-KluxKlans kennen.
„Der Hass ist überall. Es hört nicht auf“, hat er in seinem Leben gelernt. Aber er hat eben überlebt – und ist an dem Unrecht, an all dem Grauen, das Menschen einander antun können, nicht zerbrochen. „Ich habe gelernt zu verzeihen“, meinte Moshe Loth, als er den einstigen SS-Mann in dieser unglaublichen Geste umarmte. Vielleicht ist ja das die stärkste Waffe, mit der man das Böse besiegen kann.