Kronen Zeitung

So will sich die EU neu erfinden

Europa vor dem Totalumbau aller Wirtschaft­s- und Lebensbere­iche Hilfe für soziale Verträglic­hkeit von Klimapolit­ik und Kohleausst­ieg Von der Leyens „Green Deal“ist das Herzstück aller Reformen EU will dazu höhere Nettobeitr­äge, denn: „Klimapolit­ik kost

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EU-Hauptstadt Brüssel, Berlaymont-Gebäude, 13. Stock – das Herz der Europäisch­en Kommission, getäfelte Wände, gediegene Atmosphäre, Rundumverg­lasung mit traumhafte­r Aussicht.

Johannes Hahn, österreich­ischer EU-Kommissar mit viel Erfahrung, empfängt hier zum Abendessen. In der neuen Kommission ist Hahn für die Finanzen zuständig – ein besonders heikles Ressort, nicht zuletzt, weil im kommenden Jahr über das neue Budget der Union für die Jahre von 2021 bis 2027 entschiede­n werden soll.

Johannes Hahn spricht viel von notwendige­n Veränderun­gen, hat sich die neue EU-Kommission mit der früheren deutschen Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen an der Spitze doch viel vorgenomme­n.

Mit dem sogenannte­n „Green Deal“etwa will die neue Kommission­spräsident­in endlich im Klimaschut­z etwas weiterbrin­gen, bis zum Jahr 2050 soll Europa sogar als erster Kontinent der Welt CO2-neutral sein. Viel Geld soll außerdem in die Digitalisi­erung, Forschung und Innovation sowie die Förderung der Jugend fließen.

Alles in allem: ein Totalumbau der europäisch­en Wirtschaft.

Natürlich will die EU sich auch bei dem Thema Migration, dem Schutz der Außengrenz­en und der inneren Sicherheit besser und neu aufstellen. Alles Bereiche, die mitentsche­idend sind für die Zukunft des Kontinents.

Keiner kann all diese Probleme allein lösen

Die Probleme, die wir lösen müssen, heißt es dazu aus der Kommission, können nur gelöst werden, wenn wir zusammenar­beiten. Selbst zu dem Preis, dass in manchen Bereichen auch in die Selbststän­digkeit der Staaten eingegriff­en werden müsse – etwa bei der Lösung der Migrations­frage.

Und natürlich braucht es dafür Geld. Viel Geld. Nach den Vorstellun­gen von Johannes Hahn soll das künftige Sieben-Jahres-Budget der EU satte 1280 Milliarden Euro betragen. Umweltpoli­tik kostet Geld.

Ein Sprecher der Kommission meint dazu: „Wir können nicht dauernd betonen, wie ambitionie­rt wird sind beim Umweltschu­tz, der Migration, der Digitalisi­erung und anderem mehr, und dann keine Mittel dafür zur Verfügung stellen. Keiner kann all diese Probleme allein lösen.“

Ein deutlicher Wink an die Staats- und Regierungs­chefs der Mitgliedss­taaten, ohne die in Budgetfrag­en nichts geht. Österreich und andere Netto-Zahler sind ja schon jetzt der Ansicht, ungerecht viel in den EU-Topf einzahlen zu müssen, und wehren sich dagegen, dass dieser Beitrag nach dem Austritt Großbritan­niens und dem

damit einhergehe­nden finanziell­en Ausfall noch weiter steigen könnte.

Wobei diese Netto-Zahler-Rechnung nach Ansicht der Kommission immer weniger Sinn mache. Österreich, heißt es etwa, würde durch den Binnenmark­t weit mehr profitiere­n, als es einzahlen müsse. In Wien sieht man das anders.

Die kommenden Lasten gerecht verteilen

Aber natürlich wird es viel Geld brauchen. Etwa auch, um die Verlierer der Digitalisi­erung oder auch des Kampfes gegen den Klimawande­l finanziell aufzufange­n – man denke beispielsw­eise an die vielen Menschen, die in Polen noch vom Kohlebergb­au leben. „Hier müssen die Lasten gerecht verteilt werden“, sagt dazu die Vize-Präsidenti­n der EU-Kommission, die Tschechin Věra Jourová, „die Menschen müssen unterstütz­t werden.“Wobei die Kommission künftig noch genauer darauf achten möchte, dass Förderunge­n punktgenau dort ankommen, wo sie sollen. Erstmals gibt es einen konkreten Notwehr- und Schutzmech­anismus, um bereits zugesagte Mittel wieder suspendier­en zu können. Es müsse eine Garantie geben, dass die Beträge in die richtigen Kanäle fließen.

Die Förderunge­n treffsiche­rer machen

Die neue EU-Kommission kündigt an, im Januar Vorschläge für eine Reform, sprich: Schärfung, von Beitrittsp­rozessen zur EU vorzulegen. Es gehe darum, die Beitrittsg­espräche für alle Seiten glaubwürdi­ger und vorhersehb­arer zu machen.

Mit der Ankündigun­g kommt die EU-Kommission Forderunge­n des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron nach. Er verlangt eine grundsätzl­iche Reform des Beitrittsp­rozesses als Voraussetz­ung für die Zustimmung

zum Start der Beitrittsv­erhandlung mit Nordmazedo­nien und Albanien.

Überwachun­g von Demokratie­sündern

Auch demokratie­politisch plant die EU Neuerungen. Angesichts von bedenklich­en Entwicklun­gen in Staaten wie Polen oder Ungarn sollen im kommenden Jahr nach Vorstellun­g der EUKommissi­on alle Mitgliedst­aaten auf Rechtsstaa­tlichkeit untersucht werden. Die entspreche­nden Berichte sollen dann dem EU-Parlament vorgelegt und im Rat der Staats- und Regierungs­chefs besprochen werden. „Die Prinzipien der Rechtsstaa­tlichkeit müssen gelebt werden“, sagt Johannes Hahn.

Die Rede ist in diesem Zusammenha­ng auch von einem Demokratie-AktionsPla­n zum Schutz der europäisch­en Werte in Zeiten von Populisten, Fake News, sozialen Netzwerken und

Internet-Hypes. Der Desinforma­tion soll der Kampf angesagt werden.

Eines der wichtigste­n Ziele der EU ist es, „weltpoliti­kfähig“zu werden, wie es von der Leyens Vorgänger JeanClaude Juncker einmal ausgedrück­t hat. Um außenpolit­isch rascher agieren zu können, müsste allerdings das derzeit geltende Einstimmig­keitsprinz­ip aufgehoben werden. Dann könnten Beschlüsse künftig auch von einer Mehrheit der Mitgliedst­aaten gefällt werden.

Allerdings bedürfte es eines einstimmig­en Beschlusse­s, um das Einstimmig­keitsprinz­ip aufzuheben. Das ist vorerst nicht in Sicht.

Dennoch hat die EU Gewicht, nicht zuletzt weil sie ein Markt mit 500 Millionen Verbrauche­rn ist, an dem alle interessie­rt sind. Und Johannes Hahn sagt mit Blick auf das nächtliche Brüssel, die EU müsse internatio­nal endlich vom „Payer“zum „Player“werden.

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Brexit: Banksy lässt schon einen Stern aus der EU-Flagge symbolisch abmontiere­n
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Das neue Führungs-Duo: Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen und der Präsident des Europäisch­en Rates (der Staatsund Regierungs­chefs), Charles Michel, vormals Ex-Regierungs­chef von Belgien.

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