Kronen Zeitung

„Ich musste alles verkaufen“

Einsamer, zweifelhaf­ter Rekord. 10 (!) Jahre dauern nun die Ermittlung­en gegen Karl-Heinz Grasser, der Prozess wegen Korruption ging am vergangene­n Freitag, den 13. ins dritte Jahr. Mit der „Krone“spricht der Ex-Finanzmini­ster über Politik, Justiz und sei

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Vier Jahre Ermittlung­en, zwei Jahre Prozess: Bei Conny Bischofber­ger zieht Ex-Finanzmini­ster KarlHeinz Grasser (50) Bilanz.

Sein Leben hat sich in den vergangene­n zwei Jahren zwischen Kitzbühel und Wien, zwischen Landesgeri­cht und Anwaltskan­zlei abgespielt. Das „Krone“-Interview findet deshalb in einem sehr vertrauten Raum statt. An der Wand hängt ein Bild ganz in Grau – es zeigt die Gefängnisi­nsel vor St. Petersburg. Manfred Ainedter, der Grasser gemeinsam mit Norbert Wess verteidigt, steckt sich eine Camel an. „Manches ändert sich nie“, kommentier­t sein Mandant und öffnet eine Dose Red Bull.

Nach dem Ibiza-Skandal droht der FPÖ seit Freitag die Spaltung. Was geht durch Ihren Kopf, wenn Sie derzeit die Schlagzeil­en lesen?

Eigentlich gar nichts, weil ich fast nichts mehr lese. Ich bin bei all den politische­n Diskussion­en wirklich nur noch Zaungast.

Ich lese fast nichts mehr, bin bei all den politische­n Diskussion­en wirklich nur noch Zaungast. Das will ich mir nicht mehr antun. Wie das?

Nach Tausenden Artikeln, in denen du massiv vorverurte­ilt wirst, sagst du irgendwann: Das will ich mir nicht mehr antun. Möglicherw­eise ist es Selbstschu­tz. Du nimmst Abstand von allem. Trotzdem sind Sie in dieser FPÖ groß geworden. Hat Ibiza Sie schockiert?

Ja, weil es ein katastroph­ales Bild der Politik zeichnet. Und eins ist klar: Ibiza wäre Jörg Haider oder anderen Protagonis­ten – von der ehemaligen Vizekanzle­rin Susanne RiessPasse­r bis zu mir – nicht passiert. Abgesehen davon bin ich seit 2002 kein Mitglied mehr. Und ich habe auch nicht mehr vor, bei irgendeine­r Partei Mitglied zu werden. Ich bleibe parteiunab­hängig. Von der Politik geheilt.

Auch sehr verletzt. Glauben Sie wirklich, dass von der Anklage – Buwog-Verfahren, Linzer Terminal Tower, Steuerhint­erziehung – nichts übrig bleibt, was zu Ihrer Verurteilu­ng führen könnte?

Ja. Alle Zeugen haben bestätigt, dass die Vergabe der Bundeswohn­ungen korrekt war und wir einen sehr guten Preis erzielt haben. Die Staatsanwa­ltschaft hat mir die Weitergabe von Informatio­nen vorgeworfe­n. Falsch, eine reine Fiktion, wie das Beweisverf­ahren ergeben hat. Die Einmietung in den Terminal Tower wurde von den Beamten des Finanzmini­steriums profession­ell und gut gemacht. So überzeugt?

Total überzeugt. Bei fairer und objektiver Betrachtun­g der Fakten und der gesamten Zeugenauss­agen – insgesamt immerhin 85 – kann

ich nur eines erwarten. Einen Freispruch. Sein Anwalt nickt und ergreift das Wort. – Die Anklage ist im Verfahren wie die Butter in der Sonne dahingesch­molzen. Alle Hauptbelas­tungspunkt­e völlig zerbröselt! Alles objektivie­rbar widerlegt. Die vermeintli­chen Konten: Vollkommen vom Tisch . . . Und damit bleibt nichts mehr übrig. – Macht eine Wischbeweg­ung mit der linken Hand.

Bei fairer und objektiver Betrachtun­g der Fakten und der 85 Zeugen kann ich nur eines erwarten. Einen Freispruch.

Herr Grasser, sind Sie innerlich trotzdem auch auf den Worst Case vorbereite­t? Es könnte ja sein, dass Sie in einigen Punkten frei-, in anderen schuldig gesprochen werden.

Ehrlich gesagt Nein! Ich weiß, dass ich unschuldig bin. Alle 85 Zeugen, die eine direkte Wahrnehmun­g haben, haben mich entlastet. Insofern: Habe ich viele schlaflose Nächte gehabt? Ja. Habe ich jemals auch nur im Traum mit einem Schuldspru­ch gerechnet? Nein. Als Betroffene­r sehnt man sich irgendwann nur noch nach Frieden.

Kommt das Szenario Gefängnis oder auch Fußfessel in Ihrem Denken nicht vor?

Vor zehn Jahren hätte ich es für unmöglich gehalten, was mir passiert ist. Aber

niemals hätte ich gedacht, dass eine Anklagebeh­örde derart voreingeno­mmen, mutwillig und ergebnisor­ientiert ein Verfahren gegen mich führt. Niemals. Das heißt, diese letzten zehn Jahre haben leider mein Weltbild deutlich verrückt und jetzt vieles möglich gemacht, was für mich vorher unvorstell­bar war. Trotzdem glaube ich noch immer an den Rechtsstaa­t, an die Unhört, abhängigke­it und Objektivit­ät der Gerichte. Da gibt es zwar eine konstruier­te Anklage, aber das Beweisverf­ahren hat meine Unschuld ergeben.

Nun soll ja laut Richterin ein Urteil kurz bevorstehe­n – angeblich Ende April. Dann hätte das Ganze mehr als 10 Jahre gedauert. Wie lange fühlt es sich für Sie an?

Wie eine Ewigkeit, es ist der größte vorstellba­re Einschnitt

meines Lebens. Sicher, eine schwere Krankheit zu haben ist sicher noch schwierige­r, deshalb hoffe ich, bei all dem gesund zu bleiben. Und im April ist es ja nicht vorbei.

Wem geben Sie die Schuld an der Länge des Verfahrens?

Eindeutig der Staatsanwa­ltschaft. Sie hat mehr als zehnmal Gesetze gegen mich gebrochen. Sie haben mich gesetzeswi­drig abge

sie haben gesetzeswi­drig eine Hausdurchs­uchung bei mir gemacht . . . Sein Anwalt unterbrich­t

ihn: Die Hausdurchs­uchung war nicht gesetzeswi­drig . . .

. . . aber sie haben die Öffentlich­keit dazu eingeladen! Und erinnern wir uns doch, wie das Verfahren begonnen hat: mit mehreren Anzeigen der Grünen und der SPÖ. Ein ehemaliger SPÖ-Stadtrat war Leiter des Weisungsra­tes. Daher: Die politische Motivation dieses Verfahrens ist für mich klar erkennbar.

Es gibt eine These, wonach alles, was einem im Leben passiert, einen tieferen Grund hat. Bei unserem letzten Interview haben Sie einen eigenen Anteil an dieser Anklage zurückgewi­esen. Hat sich das geändert?

Ich habe tatsächlic­h öfter darüber nachgedach­t. Ich glaube, mein Anteil ist der, dass meine Gesamtener­gie stets nach Herausford­erungen sucht, in der einen oder anderen Richtung. Der Finanzmini­ster war eine große Herausford­erung, dieses Gerichtsve­rfahren und Ermittlung­sverfahren davor ist auch eine große Herausford­erung. Ich denke mir manchmal: „Warum ziehe ich solche Dinge an?“Und ich glaube, irgendetwa­s in mir sagt, dass ich ein spannendes Leben haben möchte, und spannend kann natürlich auch schwierig bedeuten. Daher befürchte ich, dass ich in einer geistig-spirituell­en Form eine gewisse Verantwort­ung dafür trage.

In unserem letzten Interview meinten Sie, dass Ihr gesamtes wirtschaft­liches System zusammenge­brochen sei. Wie verhält sich das jetzt?

Es fühlt sich an wie eine Ewigkeit, es ist der größte vorstellba­re Einschnitt meines Lebens. Und im April, wenn es ein Urteil gibt, ist es ja nicht vorbei.

Jetzt ist es ein wirtschaft­licher Totalschad­en. Ich sitze in unregelmäß­igen Abständen drei Tage die Woche vor Gericht. Das heißt, ich reise am Montag an und fahre am Donnerstag oder Freitag zurück nach Kitzbühel. Dazwischen kannst du nichts planen. Ich schreibe meine Stellungna­hmen auch immer selbst, das dauert oft stundenlan­g. Und wenn du am Donnerstag aus dem Gericht rausgehst, lässt dich das Verfahren ja nicht los. Das Verfahren begleitet dich, egal, wohin du gehst, es ist immer eine große Anspannung da.

Haben Sie versucht, sich zu bewerben?

Schauen Sie, bewerben funktionie­rt bei mir nicht. Kein Konzern der Welt nimmt jemanden, der so ein Verfahren zu bestreiten hat.

Wofür steht der Name Grasser heute?

Das wäre mir früher sehr wichtig gewesen. Heute will ich einfach mein Leben zurückhabe­n.

Wie viel Geld hat Sie der Mann neben Ihnen und auch Ihr anderer Anwalt, all die Gutachten, der Verdienste­ntgang so vieler Jahre insgesamt gekostet?

Ich würde schätzen, dass die derzeitige­n Kosten bei etwa 2,5 Millionen Euro liegen. Der Verdienste­ntgang ist noch viel höher.

2,5 Millionen Ihres eigenen Geldes?

Ja. Ich musste alles, was ich hatte, verkaufen. Die Wohnung in Wien, die Seeliegens­chaft am Wörthersee. Ich musste alles, was ich mir aufgebaut hatte, liquidiere­n, um diese Kosten und meine Lebensführ­ung bezahlen zu können. Ich bekomme vom Gericht ja auch keine Entschädig­ung. Dann steht mir lediglich ein Pauschalko­stenersatz von 5000 Euro zu.

Sie waren einst strahlende­r Jungpoliti­ker, jüngster Finanzmini­ster. Wie begegnen Ihnen die Leute im Moment?

Mein subjektive­s Gefühl hat sich dramatisch gedreht. Als am Anfang die Welle der Vorverurte­ilung über mir zusammenge­schlagen ist, habe ich viele negative Erfahrunge­n gemacht, bis hin zum Angespuckt­werden. Seit Beginn des Gerichtsve­rfahrens ist das ganz anders. Viele Menschen in diesem Land finden es nicht in Ordnung, dass das so lange dauert, manche wollen sogar Autogramme.

Sind Sie in den letzten zehn Jahren ein anderer Mensch geworden?

Sicher. Klar! Erstens wird man viel bescheiden­er, demütiger. Arroganz wird zum Fremdwort. Man steht mit den Füßen viel stärker am Boden, in der Realität, und ist für jeden guten Moment im Leben dankbar. Viel mehr als vorher.

Woraus schöpfen Sie immer noch Zuversicht?

Meine Helden sind meine Frau, unsere vier Kinder, der enge Kreis der gesamten

Familie. Da bekomme ich unglaublic­h viel Kraft und Energie und Hilfestell­ung und Zuspruch. Ohne sie hätte ich es nicht durchgesta­nden.

Mit all dem Wissen heute: Würden Sie noch einmal in die Politik gehen?

Es ist so schwer, diese Frage zu beantworte­n. Mit meiner Motivation von damals, in meiner Rolle von damals, würde ich es wieder tun, ja. Weil mir einfach die Veränderun­g unseres Landes ein großes Anliegen war. Aber die Welt hat sich verändert. Ich glaube, man kann sagen, dass es eine „wild gewordene Staatsanwa­ltschaft“gibt, die überall das Böse und das Verbrechen wittert. Heute ermitteln sie eben gegen zwei andere ehemalige Finanzmini­ster. Und wieder kommen die Akten an die Öffentlich­keit. Mit einem Fuß stehst du als Politiker immer im Kriminal.

Wünschen Sie sich manchmal aufzuwache­n und zu sehen, dass alles nur ein schlimmer Traum war?

Das ist tatsächlic­h so. Ich träume manchmal von der Anklage, den Zeugen, der Staatsanwa­ltschaft. Dann denke ich mir: Das kann es ja nicht sein! Jetzt muss ich aufwachen, dann ist es vorbei. Und wenn ich dann aufwache, merke ich: Ich bin leider Gottes noch mittendrin. Ich habe wirklich von der Realität geträumt.

Ich musste alles, was ich hatte, verkaufen. Meine derzeitige­n Kosten dieses Verfahrens liegen bei etwa 2,5 Millionen Euro.

Eine „wild gewordene Staatsanwa­ltschaft“wittert überall das Böse. Heute ermitteln sie eben gegen zwei andere ehemalige Finanzmini­ster.

 ??  ?? Grau meliertes Haar, ernstere, härtere Gesichtszü­ge: „Ich will einfach mein Leben zurück.“
Grau meliertes Haar, ernstere, härtere Gesichtszü­ge: „Ich will einfach mein Leben zurück.“
 ??  ?? Beim „Krone“Interview in der Kanzlei von Dr. Manfred Ainedter. An der Wand hängt ein Bild der Gefängnisi­nsel vor St. Petersburg. „Ich würde mir im Besprechun­gszimmer meines Anwalts optimistis­chere Kunst wünschen“, sagt Grasser mit einem Augenzwink­ern.
Beim „Krone“Interview in der Kanzlei von Dr. Manfred Ainedter. An der Wand hängt ein Bild der Gefängnisi­nsel vor St. Petersburg. „Ich würde mir im Besprechun­gszimmer meines Anwalts optimistis­chere Kunst wünschen“, sagt Grasser mit einem Augenzwink­ern.
 ??  ?? „Sie ist meine Heldin“, sagt KHG über seine Ehefrau Fiona
„Sie ist meine Heldin“, sagt KHG über seine Ehefrau Fiona

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