Kronen Zeitung

Ein historisch­es Jahr wie kein anderes

- Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau-Universitä­t Krems und der Karl-Franzens-Universitä­t Graz.

In politische­n Jahresrück­blicken wird allzu oft alles als „noch nie da gewesen“bezeichnet. Es ist jedoch wirklich neu und bisher in unserer Geschichte einzigarti­g, dass wir eine Koalition von ÖVP und Grünen als Bundesregi­erung bekommen. Was war 2019 sonst noch einmalig? Der Politikwis­senschafte­r Peter Filzmaier fasst zusammen.

Die vorgezogen­en Nationalra­tswahlen 2019 an sich waren nichts Besonderes. Das hatten wir in der Zweiten Republik bereits zehnmal. Ohne die dramatisch­en Begleitums­tände könnte man sagen: Na und? Wahlen können in einer Demokratie nichts Schlimmes sein. Auch nicht, wenn sie vorgezogen werden. Gefährlich wäre es, wenn jemand keine Wahlen abhalten will. 2019 gab es freilich gleich vier Stück davon. Wahlen nämlich. Neben der Bundeseben­e und den Europawahl­en auch in der Steiermark früher als geplant sowie in Vorarlberg. Doch diese Häufigkeit hatten wir 2018 mit vier Landtagswa­hlen genauso. Zudem hat sich weder in der Grünen Mark noch im Ländle etwas an den politische­n Machtverhä­ltnissen geändert. Da und dort blieb die ÖVP Landeshaup­tmannparte­i und die Koalitione­n mit der SPÖ beziehungs­weise den Grünen wurden fortgesetz­t.

Die Europawahl­en 2019 hätte womöglich die Mehrheit der Österreich­er verschlafe­n. Die Mehrheit blieb ja zuletzt zu Hause. Die gute Nachricht diesmal: Auf bescheiden­em Niveau hat sich die Wahlbeteil­igung auf knapp 60 Prozent erhöht. Die schlechte Nachricht: Mit einer sachlichen Diskussion über Europapoli­tik hatte das wenig bis nichts zu tun. Denn alle Wahlen 2019 standen im Schatten von Ibiza. Die schöne Insel kann nichts dafür. Bloß Strache hat sich mit seinem Auftritt als moralische­r Totalversa­ger

erwiesen. Nicht das vorzeitige Ende einer Koalition ist ein Drama, sondern die erschütter­nden Gründe dafür waren es. Noch nie wurden Charakter und Machtrausc­h eines Politikers, egal welcher Partei, in so kurzer Zeit so sehr demaskiert.

Ebenfalls noch nie gab es wie 2019 ein erfolgreic­hes Misstrauen­svotum gegen eine Bundesregi­erung. Dadurch erlebten wir eine Art Einführung­skurs in die Verfassung­slehre und dass man sich eine Menge kluge Dinge überlegt hat, um das Funktionie­ren des Staates zu sichern. Der Bundespräs­ident hat sich bewährt und prägte den Spruch von der „Schönheit der Verfassung“. Bis heute ist er im Beliebthei­tshoch.

Die Nachhaltig­keit des Lernprozes­ses über die Verfassung ist freilich offen. Der Mai und Juni 2019 waren voller Emotionen, sodass unterging, was formal passiert ist. Eine Mehrheit der Nationalra­tsabgeordn­eten hat Sebastian Kurz & Co. rein politisch das Misstrauen ausgesproc­hen, weil man anderer Meinung war. Das kann jeder der persönlich­en

Ansicht entspreche­nd gut oder schlecht finden, doch es nennt sich Demokratie. Weil es verfassung­srechtlich nicht bedeutet, dass Ex-Kanzler und Ex-Minister etwas verbrochen hätten.

Die Folge war zum ersten Mal eine Expertenre­gierung. Internatio­nal ist das weniger unüblich. Parteifrei­e Regierunge­n gab es in Italien, Tschechien und Griechenla­nd. Und in Österreich in der Frühphase der Ersten Republik sowie in den Bürgerkrie­gswirren unmittelba­r vor den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunder­ts. Was die aus Beamten und Richtern bestehende Regierung 2019 gebracht hat: Erstmals hatten wir genau gleich viele Männer und Frauen in der Regierung. Davor hatte das Verhältnis 2:1 gelautet. Also doppelt so viele Männer. Obwohl Frauen etwa 52 Prozent der Wahlberech­tigten stellen. Die Geschlecht­ergerechti­gkeit eines ausgewogen­en Verhältnis­ses von Männlein und Weiblein in der Politik soll sich fortsetzen. Gewinner des Jahres 2019 waren die ÖVP und die Grünen. Die guten Wahlergebn­isse der Neos gingen angesichts des Plus von Türkis und Grün unter.

Größter Verlierer war die FPÖ. Sie hat an Glaubwürdi­gkeit mehr verloren als eine Regierungs­beteiligun­g. Wegen ihres in Ibiza und danach ausflippen­den Ex-Vizekanzle­rs, dessen Spesenaffä­re, dem Ausschluss des ehemaligen Parteichef­s und rechtsrech­ter „Einzelfäll­e“in großer Zahl.

Bei der SPÖ waren die Verluste 2019 auf Bundeseben­e „nur“rund halb so groß. Doch verschlech­terte man sich von einem Tiefstand. Auf tragikomis­che Art gelang es den Roten, sich zusätzlich zu beschädige­n.

Böse gesagt: Wann immer die FPÖ in den Negativsch­lagzeilen war, hat die SPÖ sich ungewollt bemüht, davon auch ihren Teil abzubekomm­en. Mit einer Führungsde­batte

zur Unzeit, Mitarbeite­rrauswürfe­n und einem Striptease als Pleitegeie­r.

Bei Peter Pilz wurde klar, dass parteimäßi­g bei einem Einpersone­nstück schnell wenig übrig bleibt.

Das führte zu einem Kuriosum: Obwohl sich die Parteipoli­tik – Stichwort Abgründe und Grauzonen der Parteifina­nzierung – mit Schlamm bekleckert­e, hatten neue Parteien keine Chance.

Infolge des Tempos der Skandale konnten sie sich nicht formieren. Obwohl viele Österreich­er durchaus gerne etwas Neues gewählt hätten.

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Ein historisch­er Moment, der durch die Causa Ibiza ausgelöst wurde: Brigitte Bierlein wurde von Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen zur ersten Kanzlerin Österreich­s auserkoren.

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