Kronen Zeitung

Denn sie wissennich­t, was sie tun . . .

Immer mehr Menschen werden nach schweren Gewaltdeli­kten für zurechnung­sunfähig erklärt. Warum? Die „Krone“sprach mit Psychiater­n, einer Anwältin – und mit einer geistig abnormen Täterin.

-

Eswar im Frühjahr 2018, als sich Jenni zu verändern begann. „Ich hatte damals zunehmend das Gefühl“, sagt die 32Jährige jetzt im „Krone“Interview, „von anderen Menschen hintergang­en zu werden.“Ängstlich, misstrauis­ch – sei sie plötzlich gewesen. Und extrem hypochondr­isch.

In der Folge konsultier­te die Wienerin Dutzende Ärzte. Die Untersuchu­ngsergebni­sse – stets dieselben: Körperlich fehle ihr nichts, möglicherw­eise habe sie seelische Probleme. „Was ich nicht glauben konnte.“

Laufend mehr war Jenni hingegen davon überzeugt, die Pharmaindu­strie würde sie töten wollen; und irgendwann vermutete sie sogar, Sarah (25) – ihre Lebensgefä­hrtin, ihre engste Bezugspers­on – wäre „eine Abgesandte des Feinds“.

„Und dann bin ich völlig ausgeklick­t“

Ein Verdacht, der sich bei einem Urlaub des Paars – im August, in Kroatien – verfestigt­e. Die beiden Frauen zogen sich dort eine Fischvergi­ftung zu; im Gegensatz zu ihrer Freundin verweigert­e Jenni jede Behandlung. „Ich schlief zehn Tage nicht“, er

innert sie sich: „Und dann bin ich völlig ausgeklick­t.“

Am 13. September, längst zurück in Wien, bildete sie sich ein, die Pest zu haben. Sarah brachte die Tobende in ein Krankenhau­s. Wo ihr die Diagnose „paranoide Schizophre­nie“gestellt wurde. Allerdings: Die Patientin weigerte sich, in stationäre­r Betreuung zu bleiben, verließ tags darauf – mit der Auflage, die ihr verordnete­n Medikament­e einzunehme­n – das Spital. Checkte, „zur Erholung“, mit ihrer Partnerin in einem Hotel ein; und erdrosselt­e Sarah wenige Stunden später mit dem Gürtel eines Bademantel­s.

Alarmieren­de Zahlen aus dem Justizmini­sterium

Im Wahn, wie Gerichtsps­ychiater Peter Hofmann letztlich festgestel­lt hat. Damit konnte Jenni – so will es die Rechtsspre­chung – für ihr Vergehen nicht bestraft werden, sondern wurde in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrec­her eingewiese­n. Wie in den vergangene­n Jahren so viele Menschen, die Tötungsdel­ikte oder Körperverl­etzungen begangen haben.

Die Statistik aus dem Justizmini­sterium dazu: Am 1. Jänner 2000 befanden sich 218 Menschen im Maßnahmenv­ollzug, am 1. Jänner 2018 bereits 497. Ein Zuwachs von 128 Prozent. Ebenfalls massiv gestiegen, um 74 Prozent, die nach

Viele der Täter waren schon vor ihren Verbrechen auffällig und wurden in Kliniken behandelt. Aufgrund unserer jetzigen Gesetzesla­ge aber zu kurz.

Sigrun Rossmanith über Vorgeschic­hten von Tötungsdel­ikten.

Warum Menschen psychotisc­h oder gar schizophre­n werden? Die Gründe sind noch nicht gänzlich erforscht. Die Genetik spielt jedoch sicherlich eine Rolle.

Reinhard Haller über die Ursachen für wahnhafte Zustände.

Paragraf 21/2 Untergebra­chten; Personen, die zwar als zurechnung­sfähig, aber als hochgradig gestört gelten: 2000 waren es 219; 2018 schon 382.

Reinhard Haller und Sigrun Rossmanith, beide renommiert­e Gerichtsps­ychiater, sehen die Gründe für diese Entwicklun­g in Versäumnis­sen, die im Vorfeld der Taten geschehen sind: „Unsere gesetzlich­en Bestimmung­en lassen es nämlich leider nicht mehr zu, psychisch Kranke ausreichen­d lange in Kliniken zu behandeln.“Wobei „doch immens wichtig“wäre, „Geisteskra­nkheiten bereits im Anfangssta­dium umfassend entgegenzu­wirken.“Mit Medikament­en – und Therapien.

Warum werden Menschen überhaupt psychotisc­h – oder gar schizophre­n? Die Ursachen dafür sind nicht gänzlich erforscht. „Genetische Faktoren“, so die Experten, „spielen sicherlich eine Rolle.“

Schicksals­schläge: ein Fundament für Wahn

Aber diese seien in der Regel nicht alleine verantwort­lich für den Ausbruch wahnhafter Zustände: „Nicht wenige der Betreffend­en hatten davor schmerzhaf­te Erlebnisse.“Waren mit Scheidunge­n, Jobverlust, Todesfälle­n konfrontie­rt. „Doch auch eher unbedeuten­de Vorfälle können Auslöser für Verfolgung­sund Allmachtsi­deen sein.“Und für überborden­de Fehlinterp­retetation­en. Wie im Fall von Alois H. Im November 2019 erschoss der 46-Jährige in einer Gemeindeba­uanlage in Wien-Döbling einen Nachbarn, den er kaum gekannt hatte. Zahlreiche natürlich bloß in seiner Fantasie existieren­de Personen – erklärte der Täter in Verhören – hätten ihm erzählt, der Mann wäre ein Kinderschä­nder; und weil er ja für die Staatspoli­zei tätig wäre, müsse er „eben dauernd Verbrecher killen“.

Von 473 Opfern berichtete er, und auch davon, dass ihn der russische Präsident Wladimir Putin oft daheim besucht und mit ihm „ferngescha­ut“hätte. Seit seiner Kündigung im Mai 2019.

Fest steht: 2015 hatte Alois H., Tischler bei der Feuerwehr, einen Arbeitsunf­all. Als er nach Monaten im Spital und in einer RehaKlinik in den Dienst zurück kam, wollten ihn seine Kollegen schonen und übertrugen ihm fortan nur einfache Aufgaben. Eine freundlich­e Geste, die er als Mobbing empfand; am Ende meinte er, seine Chefs würden ihn beseitigen wollen – und rund um die Uhr abhören.

Der 46-Jährige wurde mittlerwei­le von Gerichtsps­ychiaterin Gabriele Wörgötter untersucht. Ihr Schluss: „Er leidet an einer

Erkrankung aus dem schizophre­nen Formenkrei­s und war daher nicht in der Lage, das Unrecht seines Handelns zu begreifen.“

Alois H. bekommt nun Neurolepti­ka verabreich­t. „Und langsam“, so seine Verteidige­rin Astrid Wagner, „werden seine Gedanken klarer.“

Das Danach: Trauer – und Selbstvorw­ürfe

Jenni weiß, wovon die Anwältin, die einst auch ihre war, spricht. Die 32-Jährige ist jetzt im Landesklin­ikum Mauer-Öhling (NÖ) untergebra­cht; nimmt, seit Langem, Medikament­e ein; macht eine Psychother­apie.

„Ich weiß“, sagt sie, „dass ich verrückt war, als ich Sarah umgebracht habe.“Und: „Ich schaffe es kaum, mit meiner Tat fertigzuwe­rden. Die Trauer, die Schuldvorw­ürfe – sind dauernd da.“

Irgendwann wird Jenni in Freiheit kommen. Und dann? „Für Zukunftspl­äne ist es zu früh. Aber einer Sache bin ich mir bewusst: Ich darf meine Pillen niemals absetzen.“

Die Hälfte meiner Klienten, die schwere Delikte begangen haben, sind geistig abnorm. Viele von ihnen wurden wahnhaft nach traumatisc­hen Erlebnisse­n.

Astrid Wagner über zurechnung­sunfähige Verbrecher.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Jenni ( li.) tötete ihre Freundin Sarah (re.) 2018 in einem Hotel. „Jetzt weiß ich“, sagt die Täterin, „dass ich damals völlig verrückt war.“
Jenni ( li.) tötete ihre Freundin Sarah (re.) 2018 in einem Hotel. „Jetzt weiß ich“, sagt die Täterin, „dass ich damals völlig verrückt war.“
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Alois H. (Foto links) erschoss im November 2019 einen Nachbarn, Alfred U. (47, oben). Das Opfer saß auf dieser Bank (großes Bild). Jetzt sagt er Täter: „Ich hatte den Auftrag, ihn zu killen.“
Alois H. (Foto links) erschoss im November 2019 einen Nachbarn, Alfred U. (47, oben). Das Opfer saß auf dieser Bank (großes Bild). Jetzt sagt er Täter: „Ich hatte den Auftrag, ihn zu killen.“
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria