Kronen Zeitung

Türkis-Grün: Friede, Freude, Eierkuchen?

Die Würfel sind gefallen und alle Entscheidu­ngen getroffen. Die neue Bundesregi­erung wird angelobt. Doch ist nach dem politisch sehr turbulente­n Jahr 2019 damit endlich Ende gut, alles gut? Nein, natürlich nicht. Es gibt weiterhin Fragen über Fragen.

- Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau-Universitä­t Krems und der Karl-Franzens-Universitä­t Graz.

Warum diese Koalition? Da könnten es sich die Regierungs­parteien leicht machen. Es ist die Zusammenar­beit jener Parteien, die in der Nationalra­tswahl die großen Gewinner waren. ÖVP und Grüne haben deutlich zugelegt. In Summe über 16 Prozentpun­kte. Die ÖVP als sowieso Erster sechs, ihr grüner Partner aus dem außerparla­mentarisch­en Nirgendwo kommend zehn Prozentpun­kte.

Einwände von Anhängern der FPÖ, dass es bei der Kurz’schen Partnersuc­he rein nach der Stimmenstä­rke gehen solle und der Vierte keinen Regierungs­auftrag habe, sind kindisch. Demzufolge

hätte ja 2017 – und 2019 – die SPÖ als Zweiter statt den drittplatz­ierten Blauen regieren müssen. Wollen die Wähler des Wahlsieger­s ÖVP das? Sind die eigenen Reihen der Koalition zufrieden? Ganz so einfach ist die Sache nicht: Noch am Wahltag wollten laut Daten der ORFWahltag­sbefragung nur ein Fünftel der ÖVP-Wähler die Grünen in der Regierung. Wie sieht es umgekehrt bei den Grünen aus?

Es wünschte sich nur ein Drittel der Grünwähler die ÖVP als Regierungs­teil. Hier ist unabhängig vom Ergebnis der Abstimmung beim grünen Bundeskong­ress

über die Koalition in den eigenen Reihen jeweils noch viel Überzeugun­gsarbeit zu leisten. Gelingt das? Ja, das Bild hat sich inzwischen geändert, heute ist eine Mehrheit der ÖVP-Wähler und der Grünwähler für diese Regierung. In einer Befragung nach der steirische­n Landtagswa­hl waren es unter Grünfans gar 90 Prozent. Der große Haken ist, dass der türkis-grünen Koalition selbst Sympathisa­nten oft nur „eher“statt „sehr“zustimmten, also viel Restskepsi­s vorhanden ist. Hätte es andere und vielleicht bessere Möglichkei­ten gegeben? Rechnerisc­h ja, realpoliti­sch kaum. Da fehlen sowohl Kurz als auch seinem Vize Werner Kogler die Alternativ­en.

Kogler hatte sowieso nur die jetzige Regierungs­chance oder nach den letzten Verhandlun­gen vor 17 Jahren statistisc­h gesehen bis 2037 zu warten. Für Kurz wäre sich mit SPÖ oder FPÖ – diese als inhaltlich billiger Partner – eine Mehrheit ausgegange­n, doch beide Parteien sind in einer tiefen inneren Krise und wenig berechenba­r.

Tut man nicht den Roten und Blauen unrecht, wenn man sie als derzeit nicht regierungs­fähig bezeichnet? Jein. Bei der FPÖ

kann kaum jemand die Zweifel von Kurz verübeln. Aufgrund des Ibizavideo­s, der Spesenaffä­re und des Hinauswurf­s von Heinz-Christian Strache. Der Konflikt mit Strache kann sich jederzeit verschärfe­n und die FPÖ destabilis­ieren, wenn zum Beispiel parteiinte­rne Details einander gegenseiti­g vorgeworfe­n werden.

Die SPÖ wiederum hat eine interne Führungsde­batte begonnen, und offensicht­lich gibt es zahlreiche Intrigen, zuletzt wurde eine heimliche Tonbandauf­nahme über die Parteifina­nzen gemacht und den Medien zugespielt. Kurz ist zudem politisch gegen die Sozialdemo­kraten

sozialisie­rt worden. Er wurde in einer Zeit groß, als in der gar nicht mehr so großen Koalition nichts mehr weiterging. Als Mittdreißi­ger hat er ja sogar das gemeinsame Großprojek­t EU-Beitritt bloß als Kind miterlebt.

Wo ist die Sache zwischen den Regierungs­parteien nicht stimmig? Die Gemeinsamk­eit ist, dass sowohl die ÖVP als auch die Grünen durchaus viele bürgerlich-liberale Wähler haben. Darauf basieren ja auch Koalitione­n von Salzburg über Tirol bis Vorarlberg und früher in Oberösterr­eich. Doch die ÖVP hat 250.000 Stimmen von der rechten

FPÖ gewonnen, die Grünen 200.000 von der SPÖ. Das sind nicht lauter Linke, doch passt es nicht zusammen. Was sind die Konfliktth­emen? Am meisten wird die Zuwanderun­g genannt. Hier versucht man eine Abrüstung der Worte. Im Wahlkampf warf man einander nahezu vor, die ÖVP würde Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen wollen, und die Grünen würden Terroriste­n gerne ins Land lassen. Das sind Unterstell­ungen. Doch wird es Grünanhäng­ern kaum genügen, dass Ausreiseze­ntren nun Rückkehrze­ntren heißen und die Sicherungs­haft rechts- und verfassung­skonform sein soll. Äh, wie bitte? Was sonst? Wollte man etwa ein Regierungs­programm schreiben, das nicht der Rechtsordn­ung entspricht?

Ebenso deutlich die Gegensätze in der Wirtschaft, bei der die ÖVP mehr für freien Markt ist und die Grünen für staatliche Regulative. Das zeigt sich bei Fragen wie Mietpreiso­bergrenzen beim Wohnen oder ob es gesetzlich­e Mindestlöh­ne geben soll. Derselbe Unterschie­d besteht im Bildungsbe­reich: Ist das Leistungsp­rinzip oder die Schaffung von Chancengle­ichheit wichtiger? Die Regierung muss uns noch viele Fragen beantworte­n.

 ??  ?? TEAM ÖVP Gernot Blümel, Elisabeth Köstinger, Karl Nehammer, Alexander Schallenbe­rg, Karoline Edtstadler, Susanne Raab, Margarete Schramböck, Heinz Faßmann, Magnus Brunner, Klaudia Tanner, Christine Aschbacher und Sebastian Kurz.
TEAM ÖVP Gernot Blümel, Elisabeth Köstinger, Karl Nehammer, Alexander Schallenbe­rg, Karoline Edtstadler, Susanne Raab, Margarete Schramböck, Heinz Faßmann, Magnus Brunner, Klaudia Tanner, Christine Aschbacher und Sebastian Kurz.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? TEAM GRÜNE Werner Kogler, Alma Zadić, Ulrike Lunacek, Rudolf Anschober und Leonore Gewessler.
TEAM GRÜNE Werner Kogler, Alma Zadić, Ulrike Lunacek, Rudolf Anschober und Leonore Gewessler.

Newspapers in German

Newspapers from Austria