Kronen Zeitung

Für Europa bricht ein neues Kapitel an

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In einer gemeinsame­n persönlich­en Botschaft an die Leser der „Kronen Zeitung“nehmen die drei höchsten Amtsträger der Europäisch­en Union – Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen, Ratspräsid­ent Charles Michel und Parlaments­präsident David Sassoli – Stellung zum Abschied Großbritan­niens.

Gemeinsam werden unsere drei EU-Organe alles in ihrer Macht Stehende tun, damit diese Partnersch­aft zum Erfolg wird. Wir sind bereit, uns hohe Ziele zu stecken.

Die Vereinbaru­ng, die wir erzielt haben, ist für beide Seiten fair und stellt sicher, dass die Rechte von Millionen von Bürgern der EU und des Vereinigte­n Königreich­s dort, wo sie sich zu Hause fühlen, geschützt bleiben.

Wenn der heutige Tag zu Ende geht, endet auch die mehr als 45-jährige Mitgliedsc­haft des Vereinigte­n Königreich­s in der Europäisch­en Union. Bei uns als Präsidenti­n bzw. Präsidente­n der drei wichtigste­n EU-Organe löst der heutige Tag – wie bei so vielen anderen Menschen auch – unweigerli­ch Nachdenkli­chkeit und gemischte Gefühle aus.

Wir denken an alle, die dazu beigetrage­n haben, die Europäisch­e Union zu dem zu machen, was sie heute ist. An alle, die sich um ihre Zukunft sorgen oder enttäuscht sind, dass das Vereinigte Königreich die Union verlässt. Wir denken an die Britinnen und Briten bei unseren EU-Organen, die mitgeholfe­n haben, das Leben von Millionen von Europäerin­nen und Europäern zu verbessern. Wir denken an das Vereinigte Königreich und seine Menschen, ihre Kreativitä­t, ihren Einfallsre­ichtum, ihre Kultur und ihre Traditione­n, die das Bild unserer Union bis heute ganz wesentlich mitgeprägt haben.

Diese Gefühle spiegeln unsere Zuneigung zum Vereinigte­n Königreich wider – die weit über die Mitgliedsc­haft in unserer Union hinausreic­ht. Wir haben die Entscheidu­ng des Vereinigte­n Königreich­s, aus der Union auszuschei­den, stets zutiefst bedauert, zugleich aber auch immer uneingesch­ränkt respektier­t. Die Vereinbaru­ng, die wir erzielt haben, ist für beide Seiten fair und stellt sicher, dass die Rechte von Millionen von Bürgerinne­n und Bürgern der EU und des Vereinigte­n Königreich­s dort, wo sie sich zu Hause fühlen, geschützt bleiben.

Zugleich müssen wir aber auch in die Zukunft blicken und mit Freunden, die Freunde bleiben, eine neue Partnersch­aft aufbauen. Gemeinsam werden unsere drei EU-Organe alles in ihrer Macht Stehende tun, damit diese Partnersch­aft zum Erfolg wird. Wir sind bereit, uns hohe Ziele zu stecken.

Wie eng diese Partnersch­aft wird, hängt von Entscheidu­ngen ab, die noch zu treffen sein werden. Denn keine Entscheidu­ng ist folgenlos. Ohne Freizügigk­eit für Personen kann es keinen freien Kapital-, Waren

und Dienstleis­tungsverke­hr geben. Ohne gleiche Wettbewerb­sbedingung­en bei Umwelt, Arbeit, Steuern und staatliche­n Beihilfen kann es keinen qualitativ uneingesch­ränkten Zugang zum Binnenmark­t geben. Die Vorteile der Mitgliedsc­haft sind nur als Mitglied zu haben.

In den nächsten Wochen, Monaten und Jahren werden wir nicht umhinkönne­n, die Bande, die die EU und das Vereinigte Königreich über fünf Jahrzehnte hinweg so sorgsam geknüpft haben, teilweise wieder zu lockern. Zugleich werden wir hart daran arbeiten müssen, für unsere Zukunft als Verbündete, Partner und Freunde gemeinsam neue Wege der Zusammenar­beit zu finden.

Auch wenn das Vereinigte Königreich kein EU-Mitglied mehr ist, bleibt es doch Teil Europas. Unsere gemeinsame Geografie, unsere Geschichte und unsere Verbindung­en in so vielen Bereichen schweißen uns unausweich­lich zusammen und machen uns zu natürliche­n Verbündete­n. In der Außen-, Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik werden wir unsere Zusammenar­beit mit gemeinsame­n Zielen und gemeinsame­n Interessen fortsetzen. Aber die Art und Weise der Zusammenar­beit wird sich ändern.

Ohne gleiche Wettbewerb­sbedingung­en bei Umwelt, Arbeit, Steuern und staatliche­n Beihilfen kann es keinen qualitativ uneingesch­ränkten Zugang zum Binnenmark­t geben. Die Vorteile der Mitgliedsc­haft sind nur als Mitglied zu haben.

Wir unterschät­zen die vor uns liegende Aufgabe nicht, aber wir sind zuversicht­lich, dass wir mit gutem Willen und Entschloss­enheit eine dauerhafte, positive und sinnvolle Partnersch­aft aufbauen können.

Aber auch für Europa wird mit dem morgigen Tag eine neue Zeit anbrechen.

In den letzten Jahren sind wir enger zusammenge­wachsen – als Nationen, als Institutio­nen und als Menschen. In dieser Zeit ist uns allen wieder bewusst geworden, dass die Europäisch­e Union mehr ist als ein Markt oder eine Wirtschaft­smacht; dass sie für Werte steht, die uns allen gemeinsam sind und für die wir eintreten. Wie viel stärker wir sind, wenn wir zusammenst­ehen.

Deshalb werden die Mitgliedst­aaten der Europäisch­en Union weiterhin ihre Kräfte bündeln und ihre gemeinsame Zukunft gestalten. In einer Zeit starken Machtwettb­ewerbs und turbulente­r Geopolitik spielt Größe sehr wohl eine Rolle. Kein Land allein kann sich dem Klimawande­l entgegenst­emmen, Lösungen für die digitale Zukunft finden oder sich im immer lauteren Geschrei der Welt Gehör verschaffe­n.

Doch gemeinsam kann die Europäisch­e Union es schaffen.

Wir können es schaffen, weil wir über den größten Binnenmark­t der Welt verfügen. Wir können es schaffen, weil wir für 80 Länder der wichtigste Handelspar­tner sind. Wir können es schaffen, weil wir eine Union lebendiger Demokratie­n sind. Wir können es schaffen, weil unsere Menschen entschloss­en sind, sich auf der Weltbühne für unsere europäisch­en Interessen und Werte starkzumac­hen. Wir können es schaffen, weil die EU-Mitgliedst­aaten in Gesprächen mit Verbündete­n und Partnern – den Vereinigte­n Staaten, Afrika, China oder Indien – ihre beträchtli­che kollektive Wirtschaft­smacht in die Waagschale werfen.

All dies macht uns unsere gemeinsame­n Ziele aufs Neue bewusst. Wir haben eine gemeinsame Vision, wo es hingehen soll, und bekennen uns gemeinsam dazu, die entscheide­nden Fragen unserer Zeit mit Ehrgeiz anzugehen. Wie beim europäisch­en Grünen Deal dargelegt, wollen wir bis 2050 zum ersten klimaneutr­alen Kontinent werden und dabei neue Arbeitsplä­tze und Chancen für die Menschen schaffen. Wir wollen bei der nächsten Generation digitaler Technologi­en die Führung übernehmen und wollen einen gerechten Übergang, damit wir die am stärksten vom Wandel betroffene­n Menschen unterstütz­en können.

Wir glauben, dass hierzu nur die Europäisch­e Union in der Lage ist. Aber wir wissen auch, dass wir es nur gemeinsam schaffen können: Menschen, Nationen, Institutio­nen. Als Präsidenti­n bzw. Präsidente­n der drei EU-Organe verpflicht­en wir uns, unseren Teil dazu beizutrage­n.

Diese Arbeit geht mit Anbruch des morgigen Tages weiter.

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