„Wahl“als Regime-Festival
Irans Führer erklärte Teilnahme an Parlaments-„Wahl“zur religiösen Pflicht
TEHERAN. Stell dir vor, es gibt Wahlen und kaum jemand geht hin – im Iran war gestern der Wahltag. Das Regime in Teheran hatte die Teilnahme an der Parlamentswahl zu einer religiösen Pflicht erklärt, doch das Interesse hielt sich – gelinde gesagt – in Grenzen.
Viele Bürger sind frustriert. Noch nie herrschte im Iran seit Khomeinis Islamischen Revolution von 1979 ein solches Desinteresse.
2016 hatten noch Millionen an der Wahl teilgenommen in der Hoffnung, nach dem Wiener Atomabkommen von 2015 endlich ein normales Leben führen zu können. Politische Spannungen mit dem Ausland und Sanktionen sollten beendet werden.
Die hohe Wahlbeteiligung führte dann auch zu einem Erfolg für die Koalition der Reformer und der moderaten Kräfte bei der Parlamentswahl. Sie versprachen – wie auch Rouhani – eine Versöhnung mit der Außenwelt, wirtschaftlichen Aufschwung, neue Arbeitsplätze und Freilassung aller politischen Gefangenen.
Vier Jahre später sieht die Realität aber ganz anders aus. Das Land befindet sich in seiner schlimmsten Wirtschaftskrise. Die nationale Währung Rial ist nur noch die Hälfte wert. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, vor allem bei qualifizierten Jugendlichen.
Auch die Versöhnung mit der Außenwelt klappte nicht. Nach dem Ausstieg der Trump-Regierung aus dem Atomabkommen und den damit verbundenen neuen Sanktionen droht dem Land neben der Finanzkrise auch wieder die internationale Isolierung. Und politische Gefangene, die gibt es auch weiterhin.
Außerdem kam es auch mit Rouhani und den Reformern an der Macht zu mehreren Massenprotesten. Mal richteten diese sich gegen die iranische Nahostpolitik – der Führung wurde vorgeworfen, weniger das Wohl des eigenen Volks als vielmehr das der Araber im Blick zu haben. Mal richteten sich die Kundgebungen gegen das obligatorische Kopftuch für Frauen.
Am schlimmsten waren die Proteste im November 2019 nach der Erhöhung der Benzinpreise um fast das Dreifache. Die führte in dem ohnehin von einer Finanzkrise erschütterten Land zu noch mehr Inflation.
Dabei sollen auch mehrere Demonstranten getötet und verhaftet worden sein. Noch immer will die Regierung zu der Anzahl der Toten und Verhafteten keine genauen Angaben machen.
Z udenj üngsten Protesten kam es dann im Januar nach dem Abschuss einer ukrainischen Passagiermaschine durch das Militär – alle 176 Menschen an Bord kamen ums Leben. Der Abschuss war zwar unbeabsichtigt, aber die Iraner verurteilten Rouhani und die iranische Führung, weil sie den Vorfall drei Tage lang verheimlicht – anfangs sogar dementiert – und somit das Volk angelogen hatten.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite die Reise von Außenminister Schallenberg nach Teheran, um den Anti-Atomwaffenvertrag zu retten.)
Zu oft wird Hass . . . unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit legitimiert. Doch Hass ist keine Meinung.
Deutsche Ex-Justizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger