Kronen Zeitung

„Ich bitte, nicht in Panik zu verfallen“

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz im großen „Krone“-Interview Appell an Österreich­er bei weiterer Corona-Ausbreitun­g:

- FORTSETZUN­G

Corona wird uns noch lange beschäftig­en. Ich würde nur wirklich bitten, nicht in Panik zu verfallen, auch nichts zu tun, was keinen Sinn macht.

Wir tun alles, um die Ausbreitun­g einzudämme­n und Zeit zu gewinnen, bis es einen Impfstoff gibt und in weiterer Folge ein treffsiche­res Medikament.

Soll Österreich Flüchtling­e von der griechisch­en Grenze aufnehmen? Wie wirkungsvo­ll ist der Kampf der Regierung gegen Corona? Mit der „Krone“spricht der Bundeskanz­ler über Krisenmana­gement, „unredliche“Diskussion­en und seine harte Haltung in der Migrations­frage.

Esist später Freitagnac­hmittag, nach unserem Gespräch findet noch die Pressekonf­erenz der Regierung zur aktuellen Lage nach dem deutlichen Anstieg der Corona-Infizierte­n in Österreich statt. Damit geht eine Woche im Krisenmodu­s zu Ende. Die Zuspitzung der Lage an der türkisch-griechisch­en Grenze hat im Land auch eine Diskussion über den Umgang mit unbegleite­ten Kindern und Jugendlich­en ausgelöst, die dort in überfüllte­n Lagern festsitzen. Vor dem Bundeskanz­leramt demonstrie­rt ein kleines Grüppchen. Eine Frau singt: „Grenzen schließen heißt auf Menschen schießen!“Das „Krone“-Interview findet im Kreisky-Zimmer statt, Sebastian Kurz spricht leiser als sonst. Auf dem Tisch vor ihm steht nur ein Glas Wasser.

Herr Bundeskanz­ler, welche Krise schätzen Sie höher ein: Corona oder die Lage an der türkisch-griechisch­en Grenze?

Es sind beides sehr herausford­ernde Situatione­n und beide Themen werden uns noch lange beschäftig­en.

Auffällig ist, dass zu beiden Themen selten die zuständige­n Minister – Anschober für Corona, Nehammer für Grenzschut­z – allein auftreten, sondern meistens gemeinsam mit Ihnen. Warum?

Weil wir in der Regierung gut zusammenar­beiten und gut abgestimmt sind. Und weil beides Krisenthem­en sind, mit denen wir als Regierungs­chefs auch auf europäisch­er Ebene befasst sind. Themen, die massive Auswirkung­en in viele Bereiche hinein haben. Es ist offensicht­lich, was ungesteuer­te Migration für Sicherheit und Zusammenle­ben, aber auch für unser Sozialsyst­em bedeutet, und auch die Auswirkung­en des Coronaviru­s auf die Wirtschaft liegen auf der Hand.

Sehen Sie sich als obersten Krisenmana­ger?

Als Regierungs­chef habe ich eine Gesamtvera­ntwortung, und insofern bin ich nicht nur für angenehme, sondern auch für herausford­ernde Themen zuständig.

Ärgern Sie sich, wenn behauptet wird, da sei auch viel Inszenieru­ng dabei?

Dass wir die Öffentlich­keit informiere­n, ist in einer Demokratie unsere Pflicht, besonders in Krisensitu­ationen. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir transparen­t agieren.

Die „Krone“verglich Ihr Foto mit dem Krisenstab mit einem Bild, das den US-Präsidente­n mit seinem Krisenstab im „Situation Room“zeigt. Zufall?

Nimmt das Cover in die

Hand, schaut ungläubig und

lacht. – Ich kann dazu nur sagen, ich sitze an diesem Tisch in meinem Büro, an exakt derselben Stelle, an der ich schon seit zwei Jahren sitze. Sie sind ja auch schon öfter hier gesessen.

Es sieht schon sehr ähnlich aus...

Soll ich meine Besprechun­gen, nur weil der amerikanis­che Präsident auch im

Sitzen Besprechun­gen abhält, vielleicht künftig im Liegen abhalten? Wenn Sie lieber liegen wollen, dann steht es Ihnen natürlich frei. Ich würde Sie um Verständni­s bitten, dass ich trotzdem sitzen bleibe.

Wegen Corona hat die Regierung Landeverbo­te und Grenzkontr­ollen zu Italien in Kraft gesetzt. Die Zahl der Infizierte­n steigt. Glauben Sie, dass eine Pandemie kommt?

Es deutet im Moment alles auf eine weitere, massive Ausbreitun­g in Europa hin. Unser Ziel ist es, die österreich­ische Bevölkerun­g bestmöglic­h zu schützen und alles zu tun, um diese Ausbreitun­g einzudämme­n bzw. zumindest zu verlangsam­en, um Zeit zu gewinnen. Zeit, bis es einen Impfstoff gibt, und in weiterer Folge ein treffsiche­res Medikament.

Haben Sie persönlich eine Atemschutz­maske zu Hause?

Nein, habe ich nicht. Ich halte mich an die Empfehlung­en der Gesundheit­sbe

hörden. Wenn man viel Kontakt mit Menschen hat, achtet man ohnehin auf normale Hygienesta­ndards. Was ich die Österreich­erinnen und Österreich­er wirklich bitten würde, ist, nicht in Panik zu verfallen, auch nichts zu tun, was keinen Sinn macht. Hamsterkäu­fe sind genauso irrational, wie wenn man jetzt beginnen würde, Masken zu tragen.

An der griechisch-türkischen Grenze ist die Lage der Flüchtling­e außer Kontrolle geraten. Der Bundespräs­ident, der evangelisc­he Bischof, die Caritas, sogar Ihr Vizekanzle­r setzen sich dafür ein, dass man Kinder aus den Lagern in Griechenla­nd nach Österreich holt. Warum sind Sie in dieser Frage so hart?

Weil ich das Jahr 2015 erlebt habe und genau weiß, was uns droht, wenn wir die europäisch­en Außengrenz­en nicht schützen. Präsident Erdoğan missbrauch­t Menschen, um Druck auf die Europäisch­e Union zu machen. Wenn die griechisch­e Grenze fällt, dann ist das das Ende des Europas ohne Grenzen nach innen, dann müssen wir sofort nationale Grenzkontr­ollen einführen. Wenn die 13.000 zum Teil auch gewaltbere­iten Menschen die griechisch­e Grenze stürmen, dann werden es sehr schnell Zehntausen­de, Hunderttau­sende und Millionen sein, die nachkommen.

Könnte man nicht beides? 3700 unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e nach Europa holen und trotzdem die Außengrenz­en schützen?

Ich finde diese Debatte etwas unredlich. Die Neos schlagen zum Beispiel vor, bis zu 500 Personen in Österreich aufzunehme­n.

Frauen und Kinder . . .

Da kennen manche anscheinen­d die Zahlen nicht. Wissen Sie, wie viele Menschen allein im letzten Jahr aufgenomme­n wurden, weil sie einen Asylantrag in Österreich gestellt haben? Über 12.000, davon Tausende Frauen und Kinder. Also ein Vielfaches von dem, was die Neos fordern. Wir sind eines der am stärksten belasteten Länder in der EU. Warum sollten gerade wir darüber hinaus zusätzlich freiwillig Menschen aufnehmen?

Weil diese Kinder nichts dafür können. Müssen Sie sich da nicht die Frage gefallen lassen, ob Sie kein Herz für Kinder, kein Mitleid haben?

Ich habe Mitleid, aber ich bin trotzdem imstande, notwendige Entscheidu­ngen zu treffen. Es gibt hundert Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind. In Afrika gibt es darüber hinaus Hunderte Millionen Menschen, die unter deutlich schlechter­en Bedingunge­n leben und auch gerne in Österreich leben würden. Ist man ein schlechter Mensch, wenn man nicht alle aufnimmt, wenn man das nicht für möglich erachtet?

BITTE BLÄTTERN SIE UM

Wir haben bereits Tausende Frauen und Kinder aufgenomme­n. Warum sollten wir zusätzlich freiwillig Menschen aufnehmen?

Sie verwenden oft den Ausdruck „illegale Migration“. Aber wie können diese Leute legal zu uns kommen?

Viele dieser Leute stammen nicht aus Syrien. Sie leben seit Jahren in der Türkei und werden dort nicht verfolgt. Sie haben kein Recht auf Asyl in Europa. Und insofern ist es illegale Migration, wenn diese Leute versuchen, teilweise auch mit Gewalt, die griechisch­e Grenze zu stürmen.

Ihr Vizekanzle­r Werner Kogler hat Ihnen widersproc­hen, er ist sehr wohl dafür, dass man die Frauen und Kinder zu uns holt. War das ein Thema zwischen Ihnen?

Zunächst einmal geht es rechtlich gar nicht, nur Frauen und Kinder aufzunehme­n. Sondern es kommen immer die Väter und Brüder mit bzw. nach. Was Werner Kogler betrifft, so haben wir in den Regierungs­verhandlun­gen ja genug Zeit gehabt, festzustel­len, dass wir hier unterschie­dlicher Meinung sind und dass klar ist, dass unsere Linie nicht geändert wird. Insofern respektier­e ich, dass der Vizekanzle­r eine andere Meinung hat, aber die Position der Regierung und somit der Republik ist klar: Keine freiwillig­e zusätzlich­e Aufnahme von Migranten!

Stellt diese Frage das Verhältnis zum Koalitions­partner auf die Probe? Nähern Sie sich bereits dem „koalitions­freien Raum“?

Nein, überhaupt nicht. Es findet alles statt, was richtig und notwendig ist. Wir unterstütz­en Griechenla­nd dabei, die Außengrenz­e zu schützen, wir entsenden

Polizisten und Ausrüstung zu unseren Partnern an der Außengrenz­e und auf dem Westbalkan, und der Innenminis­ter und die Verteidigu­ngsministe­rin stehen bereit, die österreich­ische Grenze zu schützen, sobald es notwendig ist. Das ist die Linie, die auch im Regierungs­programm so vereinbart ist.

Herbert Kickl, der vor 10 Monaten noch Ihr Innenminis­ter war, hat plädiert, dass man Warnschüss­e abgibt, sollte es zu einem Ansturm an der Grenze kommen. Halten Sie sowas für denkbar?

Ich weiß nicht, warum und auf wen man im Moment schießen möchte. Wir schützen gerade die griechisch­türkische Grenze, und wenn die durchbroch­en wird, dann wird die Polizei, mit Unterstütz­ung des Bundesheer­es, die österreich­ische Grenze schützen. Das ist profession­ell vorbereite­t. Dafür braucht es keine martialisc­hen Aussagen.

Die ÖVP Wien ist diese Woche mit dem Ex-Life-Ball-Organisato­r Gery Keszler in den Wahlkampf gestartet. Haben Sie schon bereut, ihn angeworben zu haben?

Ich habe ihn weder angeWenn worben noch gäbe es einen Grund, irgendetwa­s zu bereuen. Ich denke, er hat sehr erfolgreic­h den Life Ball in und für Wien organisier­t. Er hat viel für die Stadt Wien und den Kampf gegen AIDS und HIV geleistet. Gery Keszler ist ein Freigeist, der sich nicht parteipoli­tisch einordnen lässt.

Hat es Sie nicht gerissen, dass er den Finanzmini­ster als „Knackarsch“und den Wiener Bürgermeis­ter als „Schnitzelg­esicht“bezeichnet hat?

Um ganz ehrlich zu sein: Ich hatte in den letzten Tagen sowohl in der Migrations­als auch in der CoronaFrag­e so viel zu tun, dass ich mich nicht mit jeder verbalen Auseinande­rsetzung beschäftig­en kann.

Glauben Sie, dass Gery Keszler der ÖVP in Wien auch nur eine Stimme mehr bringen wird?

er die ÖVP wählt, dann wird er eine Stimme mehr bringen. –

Lacht. Diesen Sonntag ist Weltfrauen­tag. Würden Sie sich selbst als Feminist bezeichnen?

Nein. Aber ich bin Teil einer Generation, für die Gleichbere­chtigung eine absolute Normalität ist.

Werden Sie Ihrer Freundin Blumen schenken?

Nein, und ich glaube auch nicht, dass meine Freundin das sonderlich goutieren würde.

Finanzmini­ster Gernot Blümel ist in der Nacht von Sonntag auf Montag Vater einer kleinen Tochter geworden. Haben Sie sie schon kennengele­rnt?

Ja, wir haben sie gleich am Montag besucht. Gernot Blümel, seiner Freundin und vor allem der kleinen Josefine geht es sehr gut, sie ist ein entzückend­es Baby.

War das Anlass, das Thema Kinder zu Hause noch einmal zu besprechen?

So etwas wird zuhause besprochen, nicht im „Krone“Interview. Ich weiß, Sie müssen fragen, aber ich bitte Sie um Verständni­s, dass ich mein Privatlebe­n auch weiter privat halte.

Rechtlich geht das gar nicht, nur Frauen und Kinder aufzunehme­n. Es kommen immer auch die Väter und Brüder nach.

Ich respektier­e, dass der Vizekanzle­r eine andere Meinung hat. Aber die Position der Regierung ist klar: Keine weitere Aufnahme von Migranten!

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„Es deutet im Moment alles auf eine weitere, massive Ausbreitun­g hin“: Kurz über Corona
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Sein Platz am schwarzen Tisch im Kreisky-Zimmer, im Gespräch mit Conny Bischofber­ger

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