Ein hellhöriges Haus
Ich wohn in an Haus mit sehr dünne Wänd“, sagte Herr M. zum Bezirksrichter. „Neilich sitz i bei der Jausn, hör i, wia mei Nachbar an Wein und a paar Glasln herricht.
,Kriagn S Besuch?‘, hab i eahm durch de Wand durch gfragt.
,Ja‘, hat er gsagt. ,I bitt Ihna, verhaltn S Ihna ruhig! Es kummt nämlich a Ehepaar, des was mei Wohnung kaufn wüll. De dürfn auf kan Fall bemerkn, dass unsere Wänd so dünn san und dass ma sogar hert, wenn wer in normaler Lautstärke nebenan diskutiert. Falls S Ihna no an Zucker in Kaffee gebn, tan S es, bitte, jetzt; ma hört sunst des Würferl falln! Ihna brauch i nix erzähln. Se wissn ohnehin, dass wir in an hellhörigen Haus wohna.‘
I hab eahm beruhigt und hab gsagt, i verwend derzeit an Süßstoff, der was nur ganz leise zischt, wann er zergeht.
Und glei drauf is scho der Herr kumma, der was an der Nachbarwohnung interessiert war. ,Schön habn S es da‘, hat er zu mein Nachbarn gsagt. ,Es is is nur ans‘, und i hab ghört, wia er se am Kopf kratzt. ,Is de Wohnung ruhig? Hört ma nix durch?‘
,Net an Ton‘, hat mei Nachbar gsagt und hat an Wein eingschenkt. ,Wo is denn die Frau Gemahlin?‘
,De suacht no an Parkplatz‘, hat der Herr gsagt und hat a Taschenuhr aufspringa lassn. ,Eigentlich müassts scho da sein. Wissn S was? I schau no an Sprung runter!‘
,Wie Sie wünschen‘, hat mei Nachbar gsagt und hat den Herrn zur Tür begleitet. Dann hab i drübn an erleichtertn Schluck ausn Weinglasl ghört und hab durch de Wand gsagt: ,Na, san S zfriedn mit mir? Hoffentlich kauft er de Wohnung. Armer is er kaner, weil wann i mi net verhört hab, hat der a goldene Doppelmanteluhr!‘
Auf des auffe is drübn a Weinglasl aus der Hand gfalln, und in der nachfolgenden Stille hab i durch de Wand durch in an Westntaschl de Dopplmantluhr tickn ghört.“
Der Besucher, der noch ganz schnell einen Schluck Wein trinken wollte, bevor er zu seiner Gattin ging, hatte den Wohnungsinhaber als „Betrüger“bezeichnet. Zur Einvernahme fast aller Hausparteien, die den Streit gehört hatten, wurde die Verhandlung vertagt.