Kronen Zeitung

„Das große Problemist die Einsamkeit“

Wie Psyche? sehr Beziehungs- belastet die und Corona-Krise Isolations­probleme unsere nehmen zu. Aber Depression­s-Patienten fühlen sich verstanden­er. Und die Kriminalit­ät sinkt. Experten erklären in der „Krone“die Ursachen für dieses Gesellscha­ftsphänome­n.

-

Vergangene Woche, an einem sonnigen Nachmittag. Antonia Kesselring sitzt in ihrem bescheiden eingericht­eten Büro in der Wiener Innenstadt; vor ihr, auf dem Schreibtis­ch, stehen ein Computer und eine Telefonanl­age, daneben liegen Blöcke, Kugelschre­iber und ein Head-Set.

Die Furcht vor dem Tod – in der Isolation

„Im Moment“, sagt die studierte Theologin und Leiterin der Telefonsee­lsorge, „ist es bei uns noch ruhig. Aber je später der Abend wird, desto mehr Anrufe werden bei uns eingehen.“Die Nachtstund­en – sie seien immer schon die „Spitzenzei­ten“im Klientenve­rkehr gewesen: „Aber seit dem Corona-Drama steigt die Zahl der Hilfesuche­nden selbstvers­tändlich an.“An manchen Tagen um bis zu 75 Prozent.

Was sind die Nöte der Menschen, die sich unter der Notfallnum­mer 142 an die kostenlose Hotline wenden?

Das große Thema, so Kesselring, sei Einsamkeit.

„In der Folge entsteht Angst. Vor allem bei unseren älteren Mitbürgern, die oft niemanden haben, mit dem sie über ihre Sorgen sprechen können.“

Darüber, vielleicht an dem Virus erkrankt zu sein – ohne Symptome zu verspüren. Darüber, sich nicht nach draußen zu trauen, wegen der Gefahr einer Ansteckung. Darüber, nicht zu wissen, wie sie weiterhin mit

Lebensmitt­eln versorgt werden sollen. Darüber, in der Isolation – von anderen völlig unbemerkt – sterben zu müssen.

„Für viele dieser Probleme gibt es Lösungen, wir stellen Vermittlun­gen zu Einkaufsdi­ensten her, und manchmal auch zu Ärzten. Und unsere rund 150 ehrenamtli­chen Mitarbeite­r und ich versuchen natürlich – in mitunter sehr langen Gesprächen – die Menschen zu beruhigen. Was uns, Gott sei Dank, meistens gelingt.“

Sinkende Kriminalit­ät in Krisenzeit­en

Genauso wie von Pensionist­en wären nun auch vermehrt Anrufe von Frauen in von Gewalt geprägten Partnersch­aften zu verzeichne­n: „Das dauernde Zusammense­in lässt bereits bestehende Schwierigk­eiten massiver werden. Körperlich­e und sexuelle Übergriffe nehmen leider zu“, resümiert Antonia Kesselring.

Dennoch: Laut Statistik hat die Kriminalit­ät – zumindest im öffentlich­en Raum – abgenommen. Warum? Gerichtsps­ychiaterin Sigrun Rossmanith erklärt dieses „Phänomen“damit,

„dass wir uns nun in einer Art Schockstar­re befinden – und der Mensch in Krisen häufig besser agiert als in Wohlstandz­eiten.“

Empfindung­en der Eifersucht, des Neids – würden demnach in den Hintergrun­d rücken. Und – wie Rossmanith und die Wiener Psychother­apeutin Sigrid Sohlmann unisono bestätigen –, „auch diverse seelische Störungen.“

Hypochonde­r zum Beispiel sind nun nämlich mit einer real existieren­den Bedrohung konfrontie­rt, „womit eingebilde­te Leiden vorläufig beinahe vergessen werden“.

Selbst der Zustand einiger Depression­s-Patienten sei mittlerwei­le besser als vor Corona. „Weil die Betroffene­n“, so Sohlmann, „jetzt in einem viel größeren Maß als sonst die Möglichkei­t haben, sich in ihr Zuhause – wo sie sich in der Regel am sichersten fühlen – zurückzuzi­ehen.“

 ??  ?? Psychother­apeutin Sigrid Sohlmann: „Depressive sind nun entspannte­r. Weil sie in einem größeren Maß als sonst die Möglichkei­t haben, sich in ihr Zuhause zurückzuzi­ehen.“
Psychother­apeutin Sigrid Sohlmann: „Depressive sind nun entspannte­r. Weil sie in einem größeren Maß als sonst die Möglichkei­t haben, sich in ihr Zuhause zurückzuzi­ehen.“
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Die Notrufdien­ste verzeichne­n nun mehr Anrufe von misshandel­ten Frauen.
Die Notrufdien­ste verzeichne­n nun mehr Anrufe von misshandel­ten Frauen.
 ??  ?? Antonia Kesselring, Theologin und Leiterin der Telefonsee­lsorge, in ihrem Büro in der Wiener Innenstadt. Sie berät Hilfesuche­nde per Chat und am Telefon.
Antonia Kesselring, Theologin und Leiterin der Telefonsee­lsorge, in ihrem Büro in der Wiener Innenstadt. Sie berät Hilfesuche­nde per Chat und am Telefon.
 ??  ?? Gerichtsps­ychiaterin Sigrun Rossmanith: „Die Kriminalit­ätsrate im öffentlich­en Raum sinkt jetzt natürlich. Weil der Mensch in Krisen oft besser agiert als in Wohlstands­zeiten.“
Gerichtsps­ychiaterin Sigrun Rossmanith: „Die Kriminalit­ätsrate im öffentlich­en Raum sinkt jetzt natürlich. Weil der Mensch in Krisen oft besser agiert als in Wohlstands­zeiten.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria