Kronen Zeitung

Von wegen brave Buchhalter­in

Wir sprechen mit Menschen im ganzen Land über die schönsten Plätze Österreich­s. Heute Ehrwald in Tirol mit Regina Poberschni­gg.

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Nach unserem fast zweistündi­gen Telefon-Interview bin ich mir sicher, dass man Regina Poberschni­gg als „wilde Henn“bezeichnen kann, ohne sie zu beleidigen. Im Gegenteil, sie sieht es wohl eher als Kompliment.

Sie ist eins dieser Landmädels, das in frühen Jahren immer mit den Buben um die Häuser zog, versuchte, körperlich mitzuhalte­n, und dann, als die Unterschie­de immer deutlicher wurden, trotzdem nie aufgab. „Zum Pferdesteh­len“nannte man das früher.

Heute ist „die Gini“mit ihren 57 Jahren Chefin der gut 60-köpfigen Bergrettun­g in Ehrwald am Fuß der Zugspitze und gehört zum harten Kern der Freiwillig­en, die sich nach vorn stellen, wenn’s darum geht, anderen in der aktuellen Krise zu helfen. Eine „wilde Henn“mit Verantwort­ungsgefühl.

Regina wuchs als Tochter eines Zimmermann­s und älteste von vier Schwestern im benachbart­en Lermoos auf.

Bergsteige­r-Pfarrer mit gutem Draht nach oben

Der dortige Pfarrer, Josef Friedle, war ein hervorrage­nder Bergsteige­r und nahm von seiner JungscharT­ruppe immer ein kleines, ausgewählt­es Grüppchen mit. Dort dabei zu sein war Reginas ganzer Stolz. Heute sagt sie: „Pfarrer Josef muss einen sehr guten Draht zum lieben Gott gehabt haben.

Wir haben damals Sachen gemacht, die würd ich sicher nimmer tun.“

Mit Papa Erwin am Wochenende die Hausberge zu besteigen war danach immer ein wenig peinlich: „Der hat uns natürlich bei jeder Gelegenhei­t angeseilt.“

Ihm zuliebe absolviert­e Regina nach der Hauptschul­e eine Buchhalter-Ausbildung. Und sie arbeitete dabei sogar drei Jahre lang in Reutte brav in einer Steuerkanz­lei.

Aber in Wahrheit – nachdem man ihr sagte, auch Papas

Zimmerei wäre nichts für ein Dirndl – zog es sie hinaus in die Welt und auf die Berge.

In Ehrwald hat sie heute gemeinsam mit zwei Partnern eine kleine Ski- und Bergsport-Firma, wo sie – hoffentlic­h bald wieder – als Wanderführ­erin zum Beispiel Gäste „übers Gatterl“zum Gipfel der Zugspitze (2962 m) auf deutscher Seite führt. Oder es geht zum Klettern ins Gebiet der Sonnenspit­ze (2417 m, siehe Bild): „Es ist wirklich überall wunderschö­n bei uns!“

In spätestens zehn Minuten stürzt der ab

So richtig schlägt Reginas Herz aber für eine andere Sache: „Die Bergrettun­g ist mein Leben!“, sagt sie und lacht. „Ich will irgendwie immer schon den Leuten helfen. Und da ist für mich die Bergrettun­g – wo ich

2001 als eine der ersten Frauen in Tirol eingestieg­en bin – die Königsdisz­iplin.“

15 Jahre lang war „Gini“sogar als Flugretter­in im Hubschraub­er-Einsatz: „Da kommt garantiert jeder Helfer an seine Grenzen“, erzählt sie.

Was, wenn sich jetzt alle drücken würden?

„Wenn du weißt, der Typ dort in der Wand stürzt spätestens in zehn Minuten ab, weil er ohne Sicherung unterwegs ist, dann machst du Sachen, die dir privat nicht einfallen würden. Und da muss alles passen, sonst gibt’s zwei Tote!“– Den „Trottel von Familienva­ter“(Zitat Regina Poberschni­gg), der dieses Risiko eingegange­n ist, und den Helfer, der es mitausbade­n muss.

Das bringt die engagierte Retterin zu einem Thema, das besonders in diesen Tagen

im Bergparadi­es Österreich extrem wichtig ist und dennoch bei vielen für Unverständ­nis sorgt:

„Eigentlich hat’s bei uns derzeit wirklich tolle Schneeverh­ältnisse. Aber abgesehen davon, dass es bis auf Weiteres verboten ist, ist es auch rücksichts­los und dumm, heimlich eine Tour zu machen. Man bringt damit noch mehr als sonst die Retter in Gefahr. Man zieht Helfer von Patienten ab, die unverschul­det um ihr Leben kämpfen. Und auch wenn wir unsere Einsatzaut­os auf VirusPatie­nten vorbereite­t haben, kann keiner von uns am Berg einen Schutzanzu­g tragen.“

Regina fügt hinzu: „Das gilt übrigens auch für Holzarbeit­en im Wald: Ein derzeit unnötiges Risiko, das niemand braucht! – Gerade letzte Woche hatten wir da einen sehr schweren Unfall.“

Ihre Laune – „ . . . ich bin glücklich Single, da hat sich bis jetzt einfach nichts ergeben . . . “– lässt sich die lebenslust­ige Tirolerin aber so und so nicht verderben, dafür hat sie schon zu viel gesehen und erlebt.

Warum sie auch am kommenden Mittwoch wieder freiwillig (wie ganz viele großartige Menschen in Österreich) den Nachtdiens­t beim Roten Kreuz übernimmt? Regina lacht: „Ich denk mir halt, wenn sich jetzt alle drücken, dann bricht doch das System zusammen.“

Es ist rücksichts­los und dumm, jetzt heimlich eine Tour zu machen. Man bringt damit noch mehr als sonst die Helfer in Gefahr!

Regina Poberschni­gg

 ??  ?? Krokus-Blüte auf den Weiden von Ehrwald. Im Hintergrun­d die Mieminger Kette mit der Sonnenspit­ze (re.).
Krokus-Blüte auf den Weiden von Ehrwald. Im Hintergrun­d die Mieminger Kette mit der Sonnenspit­ze (re.).
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