Kronen Zeitung

Wann ist Corona besiegt?

Er ist ein Weltstar der Virologie, hat Medikament­e gegen Grippe, HIV und Hepatitis C entwickelt. Und er ist mein Bruder. Dr. Norbert Bischofber­ger über das heimtückis­che Coronaviru­s, den Wettlauf der Forscher um einen Wirkstoff, politische Versäumnis­se un

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Als Nori Samstagmor­gen am Handy abhebt – bei ihm in Kalifornie­n ist es kurz vor Mitternach­t – störe ich ihn gerade bei seiner LieblingsS­how, „60 Minutes“auf CBS. Heim-Quarantäne. „Sie machen sich über Ischgl lustig“, erzählt er mir, die Vertuschun­g von Corona in Tirol sei sogar Thema in der „Financial Times“gewesen. Norbert ist 1983 in die USA ausgewande­rt und hat dort einen unglaublic­hen Karrierewe­g hingelegt. Der Erfinder von mehreren hochwirksa­men Medikament­en gegen Infektions­krankheite­n war schon als Kind Feuer und Flamme für Chemie. Auf dem Dachboden unseres Wirtshause­s im Bregenzerw­ald richtete er sich ein Geheimlabo­r ein. Er war 12, ich 8. Zum Geburtstag schenkte er mir eine weiße Schürze, und fortan durfte ich ihm bei seinen Versuchen assistiere­n – und die Reagenzglä­ser waschen.

Wir sitzen beide im Homeoffice, 9000 Kilometer voneinande­r entfernt. Hättest du dir je gedacht, dass ein Virus die ganze Welt in die Knie zwingt?

Ich habe nicht konkret daran gedacht, aber dass einmal eine Pandemie kommen wird, lag auf der Hand. Es war nicht die Frage, ob, sondern wann das passieren wird. Erschrecke­nd ist, wie unvorberei­tet wir darauf sind.

Du beschäftig­st dich seit 30 Jahren mit Viren. Was sind das für Tierchen?

Tierchen ist nicht ganz richtig. Denn dann würde das Virus leben. Es ist aber ein Ding in der Mitte, nicht tot, aber auch nicht lebendig. Ein Virus kannst du kristallis­ieren, in ein Glas geben und für immer aufheben. Das ist weder mit Bakterien möglich noch mit Hefe, also mit nichts, was lebt. Weil Zellen Sauerstoff und Nahrung brauchen, um zu überleben. Beim Virus ist das anders. Es bleibt in diesem Zustand, aber sobald es in Kontakt mit einem Wirt kommt – das kann ein Mensch sein oder ein Tier oder sogar eine Bakterie –, beginnt es, schlimme Dinge zu machen. Es dringt in Zellen ein, zwingt diese, neue Viren zu produziere­n, es beginnt, sich zu vervielfac­hen, und sucht sich neue Opferzelle­n aus.

Sieht das Coronaviru­s wirklich so aus, wie es jetzt überall abgebildet ist: klein, rund und stachelig?

Viren sind einhundert­mal kleiner als Bakterien, sehen würde man die Struktur nur unter einem Elektronen­mikroskop. Aber ein Virus schaut man sich nicht an, es genügt, wenn man sieht, was es macht. Man kann es im Labor herstellen, aber normalerwe­ise ist es in einer Lösung, da gibt es nichts Rundes oder Stachelige­s zu sehen.

Im Februar hast du noch gemeint, Corona werde wie andere Viren kommen und gehen. Hast du es unterschät­zt?

Ich lag offensicht­lich vollkommen falsch. Es war bisher bei den meisten Viren so, aber dieses wird nicht so schnell verschwind­en, es ist mittlerwei­le überall. Wir haben nur zwei Möglichkei­ten: Entweder entsteht im Großteil der Bevölkerun­g eine Immunität, das kann durch Infizierun­g oder durch einen Impfstoff geschehen. Oder es gibt bald eine wirksame Behandlung. Auf jeden Fall brauchen wir Antikörper­Tests, die auch zeigen, wenn jemand Corona hatte und Immunabweh­r entwickelt hat. Wenn man die ganze Bevölkerun­g testen würde, dann käme man laut einer Studie zum Schluss, dass die Infektions­rate zehnmal höher ist, als wir glauben.

Aus Bergamo, Italien, kommen erschrecke­nde Bilder. Lastwagen mit Leichen. Massengräb­er. Weinende Ärzte. Wie geht es dir als Forscher, wenn du solche Bilder siehst?

Für frühe Stadien der Corona-Erkrankung und zur Prophylaxe werden wir schon bald ein Mittel haben. Im Sommer, spätestens im Herbst.

Dass eine Pandemie kommen wird, lag auf der Hand. Es war nicht die Frage, ob, sondern wann. Erschrecke­nd ist, wie unvorberei­tet wir sind.

Wie jedem anderen auch. Es ist tragisch. Wir kennen solche Bilder von der Grippe-Pandemie 1918, vom Ebola-Ausbruch in Afrika. Die Menschen tun mir leid. Als Forscher kann ich nur sagen: Es wird weltweit auf Hochtouren gearbeitet, um schnell ein Gegenmitte­l zu haben.

Die WHO testet derzeit Remdesivir, die Wirkstoffe Lopinavir und Ritonavir und Hydroxychl­oroquin. Auch dein Kollege Josef Penninger forscht an einem Medikament. Welchen Wirkstoffe­n räumst du als Experte die meisten Chancen ein?

Remdesivir hemmt die Replikatio­n der RNA-Viren.

Wir haben es, als ich noch bei Gilead war, gegen Ebola entwickelt, es aber nie eingesetzt. Wir wussten, dass es auch gegen alle CoronaStäm­me wirkt, damals gab es noch gar keine Coronaviru­sinfektion­en. Soviel ich weiß, gibt es derzeit sechs aktive Studien dazu, zwei in den USA, zwei in Europa und zwei in China. Was Josef Penninger macht, ist auch vielverspr­echend. Von Hydroxychl­oroquin bin ich nicht so überzeugt, erspare dir aber meine Gründe.

Also wird es auf jeden Fall bald einen Wirkstoff geben?

Ich bin überzeugt davon, dass ein Wirkstoff oder vielleicht auch mehrere funktionie­ren werden. Eine Behandlung von Corona-Patienten muss aber innerhalb eines gewissen Zeitfenste­rs passieren. Tamiflu zum Beispiel muss innerhalb von 24 Stunden nach dem ersten Auftreten von Grippe-Symptomen verabreich­t werden. Deshalb kann es sein, dass es bei Corona ab einem gewissen Punkt vielleicht zu spät für ein antivirale­s Medikament ist.

Was wäre der Effekt?

Sobald es einen Wirkstoff gibt, hätte das nicht nur einen gesundheit­lichen Effekt, weil die Systeme entlastet würden, sondern auch einen riesengroß­en psychologi­schen Effekt. Im Moment haben die Menschen keine Perspektiv­e. Aber sobald es eine Behandlung gibt, würden sie aufatmen können.

Wann ist Corona besiegt?

Besiegt ist ein großes Wort. Aber ich bin überzeugt davon, dass wir im Sommer, spätestens im Herbst etwas haben werden, das wirksam gegen das Virus ist. Für jene, die bereits auf der Intensivst­ation sind, könnte es vielleicht zu spät sein, aber für frühe Stadien der CoronaErkr­ankung und als Prophylaxe werden wir bald ein Mittel haben.

Wie beurteilst du das Krisenmana­gement der türkisgrün­en Regierung?

Im Moment haben die Menschen keine Perspektiv­e. Aber sobald es eine Behandlung für Corona gibt, würden sie aufatmen können.

Wenn man es vom gesundheit­lichen Aspekt betrachtet, dann ist euer Weg der Richtige: Schottet das ganze Land einfach ab! Nicht rausgehen, Restaurant­s und Bars zusperren, Flugverkeh­r einstellen. Aber vom wirtschaft­lichen Aspekt ist es ein komplettes Desaster. Die Kosten werden ins Astronomis­che steigen. In den USA haben wir von heute auf morgen 3 Millionen Arbeitslos­e. Wer wird dafür bezahlen? Ihr könnt diese Leute noch ein paar Monate durchtrage­n, aber was ist dann?

Wie könnte man Corona bekämpfen und gleichzeit­ig einen Kollaps der Wirtschaft verhindern?

Singapur hat es vorgemacht. Die haben mittels großflächi­ger Tests festgestel­lt, wer Überträger ist, haben diese Leute isoliert und festgestel­lt, mit wem sie Kontakt hatten. Dann wurden die getestet. So mussten nicht alle zu Hause bleiben, sondern nur diejenigen, die positiv getestet wurden. Wenn ich an Tirol denke, dann fehlen mir echt die Worte. Auf YouTube habe ich diesen Satz gehört . . .

„Aus medizinisc­her Sicht ...?

Genau! „Eine Übertragun­g des Coronaviru­s auf Gäste der Bar ist aus medizinisc­her Sicht eher unwahrsche­inlich.“Wie kann ein Beamter so ein dummes Statement abgeben? Ich fasse es einfach nicht. Der richtige Weg wäre gewesen: Jeder in Ischgl wird sofort getestet, die Infizierte­n werden isoliert, der Rest der Bevölkerun­g ist geschützt. Heute ist ganz Tirol unter Quarantäne. Das zeichnet – bei all der guten Performanc­e – kein positives Bild von Österreich in der Welt.

Wir schreiben Tag 14 des „Shutdowns“. Hat Sebastian Kurz das Richtige getan?

Er musste so handeln. Die Frage wird sein, wann die Beschränku­ngen gelockert

werden, denn diesen Stillstand wird kein Land monatelang durchhalte­n.

Wird Corona unser Leben in Zukunft verändern?

Es wird uns ein bisschen sensibilis­ieren, aber ich persönlich glaube nicht, dass sich fundamenta­l etwas ändern wird. Die Menschen werden vielleicht weniger fliegen, es wird mehr Telekonfer­enzen geben. Aber schlussend­lich wird alles verblassen und sich in der Geschichte verlieren. Wir werden, das ist nur allzu menschlich, zu unseren alten

Gewohnheit­en zurückkehr­en.

Hast du persönlich eigentlich vor dem Coronaviru­s Angst?

Nein. Was immer passieren wird, wird sowieso passieren. Und es betrifft hauptsächl­ich Ältere.

Du bist auch nicht mehr der Jüngste!

Stimmt. Aber bei bester Gesundheit.

Kennst du einen guten Corona-Witz?

Obwohl Trump nicht gerade ein Stand-up-Comedian ist, fand ich lustig, was er gesagt hat. Ein Reporter wies ihn darauf hin, dass er Corona als „chinesisch­es“Virus bezeichnet hatte. Er meinte: „Aber es kam aus China, wir sollten es Kung Flu nennen!“

Wie fühlt sich das an, vielleicht etwas entwickelt zu haben, auf das die ganze Welt im Moment wartet?

Na ja, wie soll ich sagen. Schon ziemlich gut. Aber der Punkt ist: Wenn so ein Ding auf den Markt kommt, arbeiten wir schon am übernächst­en Problem. Bei mir ist es Krebs.

Vermisst du die kleinen Tierchen?

Nein, ich arbeite jetzt an Behandlung­smöglichke­iten

für Leukämie und Lymphome, an denen Menschen normalerwe­ise sterben. Es gibt ein paar Ähnlichkei­ten zu den Viren, aber insgesamt ist Krebs viel komplizier­ter.

Fragst du dich manchmal, warum du schon als Kind von Chemie fasziniert warst?

Ja, aber ich habe bis heute keine Antwort gefunden. Ich erinnere mich, dass ich den Drogisten im Nachbardor­f überredet habe, mir Unkrautsal­z und andere gefährlich­e Chemikalie­n zu verkaufen. Der Mann verstand weniger von Chemie als ich. Zusammen mit Zucker – erinnerst du dich noch? – hab ich dann Sprengpulv­er hergestell­t und den Briefkaste­n in die Luft gejagt. Insofern war es vielleicht nur ein Glück, dass ich nicht Terrorist geworden bin. –

Lacht. Was soll man einmal über Dr. Bischofber­ger sagen?

Er hat einen Beitrag dazu geleistet, dass Menschen, die eine schwere Krankheit gehabt hätten oder vielleicht sogar daran gestorben wären, ein gutes Leben führen konnten.

Wie viele Menschen?

Schon ein paar. Allein das HIV-Medikament wird von 20 Millionen weltweit eingenomme­n.

Nach Corona werden wir vielleicht weniger fliegen, aber schlussend­lich wird alles verblassen und sich in der Geschichte verlieren.

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Biochemike­r Bischofber­ger: „Wenn ich an Tirol denke, dann fehlen mir echt die Worte . . . “
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Der Forscher und die Journalist­in: Er verließ Vorarlberg Richtung USA, sie zog es nach Wien
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