Königliche Aussichten
Herr Anton B., von dessen Wohnungsfenster man auf das Wiener Hotel „Imperial“sehen kann, bekam Mitte Jänner Besuch des 52-jährigen Josef K., der im selben Haus, jedoch mit Blick nach hinten, wohnt.
„Grüß Sie!“, sagte der Besucher. „Dürft i a Sprüngerl zu Ihna kumma? Es wird nämlich gleich a König nebst seiner schönen Gemahlin vurm >Imperiäu< eintreffn, und i hätt de keniglichn Herrschaftn gern von Ihnern Fenster aus gsehn. I sammle Fotos von Kenichen und Se würden mir damit a große Freude machn. Des is a Leidenschaft von mir.“
„Bedaure“, erwiderte Herr B. „I derf kane Fenster aufmachn. Befehl von der Polizei. Sogar de Vurhäng müassn zuazogn bleibn. Beim Auseinandergehen wird geschossen.“
„Derzähln S ma kan Terroristenkrimi“, sagte Josef K. „Ma wird do no an Blick riskieren dürfn.“
„Bei mir wird nix riskiert“, sagte Herr B. „I vermeide bei Staatsbesuchen jedes Risiko. Warum schaun S Ihna denn net den Kenich von untn an? So wia alle anderen Leit aa.“„Wos haßt von untn?“, meinte Josef K. „Soll i vielleicht wia der Dritte Mann ins unterirdische Wien steigen und durch a Kanäugitter ausseschaun? So was tua i net. Außerdem kumm i so net zu meiner Aufnahme. Was is, wenn grad die Frau Kenigin auf den Kanäugitter steht? Die Intimsphäre einer Monarchin is mir heilig.“
„I man vom Trottoir aus“, sagte Herr B. „Stelln S Ihna vurs Hotel, wenn Se Seine königliche Hoheit sehn wolln!“
„Des geht net!“, rief der Besucher. „Seine Königliche Hoheit is leider keine Königliche Großheit. Der König is ziemlich klan und umgeben von hünenhaften Leibwächtern, ma kann eahm nur von an Fenster aus sehn. Lassn S mi eine! I mecht de Herrschaften nur gschwind mitn Teleobjektiv fotografieren!“
„Was?“, rief Herr B. entsetzt und stieß Herrn K. zurück. „Se wolln mit den kanonenähnlichen Fotoapparat durch mei Fenster aufn Kenich züln? Se san ja übergschnappt! Wann des untn a Leibwächter siecht, schiaßt er sofort auffe! Da san S a Leich, bevurs no aufn Auslöser druckt habn! Gemma, gemma! Schaun S bei Ihna hintn ausse! Durt sehn S zwar nix, aber es is ungefährlicher.“
„I kriag an Zurn“, keuchte Josef K.
„Ja, blick zurück im Zorn, aber lass mi anglahnt!“, rief Herr B. und warf die Tür zu. Angeblich wurde dabei der Fotoapparat beschädigt; der Bezirksrichter wird über die Schadenersatzklage nächste Woche entscheiden.