Kronen Zeitung

Ein 1. Mai ohne Aufmarsch

Keinen Maiaufmars­ch gibt es heuer vor dem Rathaus. Zuletzt war das 1981 der Fall: Nach der Ermordung von Stadtrat Heinz Nittel.

- Philipp Wagner

Ein Fixpunkt für die Genossen ist jedes Jahr der Maiaufmars­ch auf dem Rathauspla­tz. Heuer findet das rote Hochamt aufgrund der Corona-Krise nur virtuell statt. Auf dem Rathauspla­tz werden keine Sektionen, Bezirksorg­anisatione­n und Vereine stolz an der Ehrentribü­ne vorbeischr­eiten.

Ein seltenes Phänomen. Seit Kriegsende musste der Aufmarsch nur einmal abgesagt werden – und das unter tragischen Umständen: Am

Morgen des 1. Mai 1981 schockte ein Attentat Österreich. Stadtrat Heinz Nittel wollte von seinem Reihenhaus in der Hietzinger Bossigasse gerade mit dem Dienstwage­n zu den Maifeiern fahren, als ein Attentäter heranstürm­te und drei Schüsse abfeuerte. Der 50jährige SPÖ-Politiker brach tödlich getroffen zusammen.

Als einer der Ersten erfuhr der damalige Landespart­eisekretär Rudolf Edlinger vom feigen Mord. „Es war schrecklic­h“, erinnert sich der spätere Finanzmini­ster und Rapid-Präsident. Die Parteispit­ze sagte umgehend den Aufmarsch ab. Die Bezirksgru­ppen wurden angewiesen, ohne Musik und politische Transparen­te zum Rathaus zu kommen. „Das war gar nicht so leicht, denn es gab damals keine Handys“, erinnert sich Edlinger.

Statt des Aufmarsche­s gab es eine Trauerkund­gebung mit Bundeskanz­ler Kreisky und Bürgermeis­ter Gratz. Die Betroffenh­eit ging weit über die Parteigren­zen hinaus. Bereits früh wurde von einem Terroransc­hlag ausgegange­n. Zur Gewissheit wurde das einige Monate später, als der Attentäter gefasst wurde. Gemeinsam hatte er mit einem Komplizen einen Anschlag auf den Stadttempe­l verübt und war dabei geschnappt worden. Es handelte sich um einen Terroriste­n der palästinen­sischen Abu-Nidal-Gruppe, der Nittels Einsatz für die Freundscha­ft mit Israel ein Dorn im Auge war.

Ex-Finanzmini­ster Edlinger hat übrigens seit 1946 an jedem Maiaufmars­ch teilgenomm­en. Heuer wird er das via Computer in virtueller Form tun. „Auch wenn ich mit der Gerätschaf­t nicht unbedingt per Du bin.“Aber nächstes Jahr will der 80Jährige wieder auf dem Rathauspla­tz mit dabei sein.

Die heurige Absage kann man mit dem Jahr 1981 nicht vergleiche­n. Es ist aber immer schade, wenn der Maiaufmars­ch nicht wie gewohnt über die Bühne gehen kann.

Alt-Finanzmini­ster Rudolf Edlinger

 ??  ?? Trauerkund­gebung statt Maiaufmars­ch: Bundeskanz­ler Bruno Kreisky, Wiens Bürgermeis­ter Leopold Gratz und ÖGB-Präsident Anton Benya tief betroffen.
Trauerkund­gebung statt Maiaufmars­ch: Bundeskanz­ler Bruno Kreisky, Wiens Bürgermeis­ter Leopold Gratz und ÖGB-Präsident Anton Benya tief betroffen.
 ??  ?? Spurensuch­e: Kriminalbe­amte am Tatort vor Nittels Haus
Spurensuch­e: Kriminalbe­amte am Tatort vor Nittels Haus
 ??  ?? Stadtrat Heinz Nittel war Mitbegründ­er des Jewish Welcome Service Vienna.
Stadtrat Heinz Nittel war Mitbegründ­er des Jewish Welcome Service Vienna.
 ??  ?? „Krone“-Titelseite vom Tag danach: Bereits früh wurden Terroriste­n als mögliche Attentäter vermutet.
„Krone“-Titelseite vom Tag danach: Bereits früh wurden Terroriste­n als mögliche Attentäter vermutet.
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