Kronen Zeitung

Lebendige Demokratie!

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Immer wieder regen sich Menschen darüber auf, dass im Parlament gestritten wird. Sie wünschen sich Ruhe und Eintracht, Harmonie und Glückselig­keit. Das kann nur von Menschen kommen, die selbst nie in der Politik tätig waren, die das Parlament nicht als Grundstein lebendiger Demokratie sehen, sondern als Treffpunkt von Gleichgesi­nnten.

Aber seien wir doch froh, dass wir noch in einer einigermaß­en funktionie­renden Demokratie leben. Demokratie bedeutet Meinungsfr­eiheit und das Zulassen von anderen Meinungen. Politik bedeutet aber auch, Gegensätze auszudisku­tieren. Interessen­s- und Parteienve­rtreter haben nun einmal unterschie­dliche Ansichten und setzen sich für unterschie­dliche Bevölkerun­gsgruppen und deren Interessen ein. Dort, wo diese gegensätzl­ichen Interessen nicht mehr – mehr oder weniger wortreich – ausgetrage­n werden dürfen, ist die Demokratie tot; wo der Parlamenta­rismus ausgeschal­tet wird, herrscht ein totalitäre­s und autoritäre­s System, das Kritik verbietet oder sogar bestraft. Beispiele gibt es weltweit genug.

Vor allem die Opposition wird für ihre offene Kritik an der Vorgangswe­ise der Regierung immer verteufelt, aber genau diese Kontrolle der Regierende­n sichert die Demokratie und demokratis­che Kontrolle.

Die oftmals eingeforde­rte Harmonie und der Zusammenha­lt oder Schultersc­hluss im Parlament ist nur der Vorwand dafür, die Opposition ruhigzuste­llen und soll nur bewirken, dass eine Meinung – die der Herrschend­en – Gültigkeit hat. Aber Meinungsun­d Pressefrei­heit sind in einer Demokratie zur politische­n Willensbil­dung unerlässli­ch – sie sind die Hauptbesta­ndteile

einer freien, pluralisti­schen Gesellscha­ft.

Hören wir also auf, die politische­n Auseinande­rsetzungen ständig als Streiterei­en zu bezeichnen, denn wenn diese Art der verbalen Auseinande­rsetzung in den Parlamente­n – vom Nationalra­t bis zur Gemeindeeb­ene – nicht mehr möglich ist, wird sie sich ganz schnell auf die Straße verlagern, und demokratis­che Kräfte werden dort ihren Anliegen Gehör verschaffe­n! Und das sieht dann ganz anders aus als die Streitkult­ur im Parlament.

Rudolf Diensthube­r, Inzersdorf im Kremstal

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