Kronen Zeitung

USA und das Virus

Kein nationaler Schultersc­hluss, kein „Landesvate­r“als Staatsober­haupt, kein soziales Netz für die Krisen-Opfer, kein Ausweg aus politische­r Blockade

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Washington. Kein nationaler Schultersc­hluss wie in anderen Ländern gegen das Coronaviru­s: Die Pandemie hat in den USA die Gräben im Gegenteil noch weiter vertieft.

Präsident Trump ist kein „Landesvate­r“. Er ist einfach nicht fähig, die Nation zu einen. Er will es auch nicht. Er spaltet absichtlic­h. Seine Strategie sind Rundumschl­äge ohne Unterlass.

Überdies ist die Innenpolit­ik nicht erst seit heute blockiert. Die Lager haben sich einbetonie­rt. Kompromiss gilt als unanständi­ges Wort, aber ohne Kompromiss kann Demokratie nicht leben.

Noch mitten in den Krisenmaßn­ahmen ziehen jetzt Demonstran­ten durch die Straßen von demokratis­ch regierten Bundesstaa­ten und fordern – von Trump dazu ermuntert – ihre „Freiheit zurück“, reden von „Tyrannei“. Mit dramatisch­en Sprüchen wie „Lasst uns raus“oder „Lieber sterben als unfrei leben“auf ihren Plakaten, mit US-Flaggen in der Hand oder in sie gehüllt, missachten sie demonstrat­iv Ausgangsbe­schränkung­en und Abstandsre­geln.

Scheinbar völlig immun gegen jede Warnung vor Ansteckung lassen sie auf den Straßen ihrer Wut über die Stilllegun­g der Wirtschaft und des Alltags freien Lauf. An ihnen lässt sich der Zustand des Landes in der Krise gut ablesen.

Das Coronaviru­s hat in den USA Gräben vertieft, statt sie zu schließen. Und zur Brechstang­e greift wie schon in normalen Zeiten der mächtigste Mann des Landes: Donald Trump.

Der Präsident ringt mit den Gouverneur­en. Er kämpft gegen die Demokraten, die ihm Versäumnis­se bei der Reaktion auf die Krise vorwerfen, und auch gegen die Medien.

Trump wird bei seinen Auftritten von angesehene­n Gesundheit­sexperten flankiert, die ihm und seinen teils falschen Aussagen Glaubwürdi­gkeit verleihen sollen. Vor lauter Schuldzuwe­isungen und Eigenlob droht bei den Briefings in Vergessenh­eit zu geraten, worum es eigentlich geht: um die Gesundheit von Millionen Menschen und darum, dass in den USA bereits Zehntausen­de wegen einer Infektion gestorben sind.

Der Präsident mischt auch bei den Protesten mit. Trump macht sich nicht nur zu ihrem Sprecher, ja er hetzt sie sogar auf. Der Republikan­er twittert aus dem

Weißen Haus: „Befreit Minnesota!“, „Befreit Michigan!“, „Befreit Virginia!“

Diese Tweets sind ein Beweis, dass es um mehr geht. Die USA befinden sich nicht nur mitten in einer Pandemie, sondern steuern gleichzeit­ig auf die Präsidente­nwahl im November zu.

Die demokratis­ch regierten Staaten Minnesota, Michigan und Virginia gelten als sogenannte Swing States, in denen weder die Demokraten noch die Republikan­er sicher mit einem Sieg rechnen können. Trump versucht bereits seit Monaten, Wähler in Virginia im Streit um schärfere Waffengese­tze auf seine Seite zu ziehen. Dass er nun gegen die angeblich übertriebe­nen Schutzmaßn­ahmen der demokratis­chen Gouverneur­e Stimmung macht, passt ins Bild.

Trump ist unter Druck: Die Mehrheit der Amerikaner ist unzufriede­n mit seinem Krisenmana­gement.

Der bisherige Höhepunkt der präsidenti­ellen TrumpSpekt­akel war seine – später aus Not als Satire bezeichnet­e – Überlegung, auch das Spritzen von Desinfekti­onsmittel könnte gegen Corona helfen. Die Firma Lysol, die Opfer befürchtet­e, warnte öffentlich, so etwas zu tun.

Wirtschaft­snobelprei­sträger Paul Krugman tweetete: „Der ,Lysol-Moment‘ könnte ein psychologi­scher Wendepunkt sein – der Moment,

„Lysol-Moment“als die Wende gegen Trump?

an dem auch Anhänger seine grundlegen­de Unfähigkei­t erkennen.“

Die täglichen CoronaPres­sekonferen­zen, mit denen Trump durch viel Eigenlob seine anfänglich­en Versäumnis­se vergessen machen wollte, haben sich zu Rohrkrepie­rern der Extraklass­e gemausert und haben ihm viel Ärger eingebrach­t.

Vier Jahre lang hat Trump aus der USPolitik eine bizarre Zirkusvera­nstaltung gemacht. Er konnte den einst allmächtig­en Senat an die Wand spielen, weil die amerikanis­che Politik schon seit Jahren kaputt war.

Es begann mit dem Aufstieg der fundamenta­listischen

Tea Party innerhalb der Republikan­ischen Partei. Heute stehen sich Lager unversöhnl­ich gegenüber, der Parlamenta­rismus hat sich selbst blockiert. Währenddes­sen zerbröselt das Land wegen der mangelnden Investitio­nen in die Infrastruk­tur. Hingegen war die Kluft zwischen den „10 Prozent oben“und den „90 Prozent unten“noch nie so

groß. Trump will jetzt nur eins: Corona vergessen machen, das Land so rasch wie möglich wieder öffnen, damit die Wirtschaft mit 30 (!) Millionen Arbeitslos­en starten kann.

Sein Vorbild könnte Schweden sein, wo die Wirtschaft überhaupt keinen

Shutdown hat – allerdings zu einem hohen Preis.

Der schwedisch­e Sonderweg in der Corona-Krise hat in mehreren Ländern Verwirrung ausgelöst. Vielerorts fragt man sich, ob die Schweden wissentlic­h und offenen Auges in die Katastroph­e laufen – oder sich ihre Strategie am Ende auszahlen wird.

Anders als in den anderen skandinavi­schen Ländern und in weiten Teilen Europas greift die schwedisch­e Regierung nicht zu drastische­n Maßnahmen. In den Kindergärt­en und den Grundschul­en herrscht reger Betrieb.

Schwedens Regierung vertraut auf den Staats-Epidemiolo­gen Anders Tegnell. Er steht symbolhaft für den schwedisch­en Sonderweg.

Diese Sicht teilen andere nicht. Knapp 2000 Wissenscha­fter haben die schwedisch­e Regierung zuletzt in einem Brief zum Umdenken aufgeforde­rt. Unter ihnen ist Bo Lundbäck, Professor für klinische Epidemiolo­gie von Lungenerkr­ankungen. Er hält die hohen Todeszahle­n für inakzeptab­el und den Preis, den Schweden im Kampf gegen Corona bezahlt, für zu hoch.

An Staatsepid­emiologe Tegnell prallt die Kritik ab. Immer wieder spricht er von Herdenimmu­nität – das heißt, die Verbreitun­g des Virus wird gestoppt, weil immer mehr Menschen dagegen immun sind. Tegnell rechnet damit, schon im Mai Anzeichen für eine Immunität in Stockholm erkennen zu können. Andere Länder riskieren, ihr Land wieder schließen zu müssen, wenn sie nicht gegen eine zweite Welle gewappnet sind.

Der schwedisch­e Epidemiolo­ge Johan Giesecke zur deutschen „Bild“-Zeitung: „Am Ende des Jahren werden alle Länder die gleichen (hohen) Zahlen (wie wir) haben. Der Unterschie­d ist, dass Deutschlan­d dabei seine Wirtschaft zerstört.“

Tägliche Trump-Shows wurden Rohrkrepie­rer

Trump setzt auf den schwedisch­en Weg

Erste Anzeichen von Herdenimmu­nität?

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Abstand halten – gilt nicht. Für diese Demonstran­ten ist Covid-19 ohnehin nur eine einzige Lüge.
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„ Wirtschaft freigeben!“– fordert dieser Demonstran­t. Amerikaner sind härter als Europäer vom „Herunterfa­hren“des Landes betroffen, weil das soziale Auffangnet­z fehlt.
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Diese Demonstran­ten empfehlen den wirtschaft­sfreundlic­hen „schwedisch­en Weg“als Vorbild für die USA.

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