Kronen Zeitung

Erinnerung­en an eine schwer fassbare Zeit

Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg: Maler und Musiker Arik Brauer sowie Schauspiel­erin Erni Mangold berichten über ihre Erlebnisse und Einschätzu­ngen

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Erni Mangold hat eben 45 Minuten geturnt. „Jeden Tag quäle ich mich. Mein Körper ist mir wichtig“, sagt die 93jährige Schauspiel­erin, die nach wie vor unermüdlic­h werkt und wirkt. Auch ihr Gedächtnis funktionie­rt – so wie ihr Mundwerk – wie eine Maschine. Die bekannte wie populäre Mimin hat so viele Episoden im Kopf, und sie sprudeln nur so aus ihr heraus, wenn sie nach ihren Erinnerung­en an das Ende des Zweiten Weltkriegs gefragt wird. Erni Mangold war 18. „Es war eine unendliche Freiheit. Wir, die Jungen, wir wollten nachholen, was wir davor nicht durften.

Zwei Jahre haben wir uns ausgelebt. Gesoffen wurde ordentlich, es gab Gewalträus­che“, sagt Erni, die mit ihren Freunden, darunter Helmut Qualtinger, linke Ideen (abseits des Kommunismu­s) entwickelt­e und die Wiener Innenstadt unsicher machte.

Es gibt aber auch weniger schöne Erinnerung­en, verursacht vor allem durch Amerikaner. „Die habe ich verachtet, ich wäre von einem fast vergewalti­gt worden. Bei Partys, wo wir dabei waren, waren sie alle völlig abnormal und unangenehm. Und wenn irgendetwa­s passiert ist, dann haben sie es auf die schwarzen Soldaten geschoben. Grauslich.“

Die Russen seien angenehmer gewesen, man tanzte Walzer, „aber wenn sie betrunken waren, dann wollten manche halt auch mehr vom ,Fräulein‘ Da bin ich dann ins Gangfenste­r und habe mich versteckt.“Die Alliierten haben jedenfalls frischen Wind gebracht, viel für die Kunst und Kultur getan, es gab neue Literatur, Swing und Jazz. Und die Filme. „Zunächst fürchterli­cher Kitsch, ,Liebe währt ewig‘ und so ein Mist. Später kamen bessere Streifen, wo sich Leute auch scheiden ließen. Jedenfalls sorgte dies für eine Öffnung.“

Die Unbeschwer­theit hielt für die wilde Wirtstocht­er Erni Mangold und ihre Freunde ein paar Jahre. „Dann sind irgendwann die ehemaligen Nazis wieder da gewesen, weil man sagte, wir brauchen sie wieder. Das war ernüchtern­d.“

„Für mich war es wie eine Wiedergebu­rt“

Arik Brauer zählt auch zu den bekanntest­en Künstlern Österreich­s. Auch er ist Zeitzeuge. Der Musiker, Maler und Schriftste­ller ist Jahrgang 1929. Das Kriegsende hat er anders erlebt als die meisten anderen: „Ich war ja aus dem Bereich der Opfer. Das Nachkriegs­elend war für mich eine Wiedergebu­rt. Strahlende Freiheit. Für die anderen war es furchtbar, es galt, tote Söhne und Väter, die im Krieg gedient hatten, zu betrauern. Oder auf die Vermissten und Gefangenen zu warten.“Generell aber hätten die Leute

aufgeatmet, „abgesehen von pathologis­chen Nazis“.

Zur Angst vor den Russen kam die grundlegen­de Not, sagt Brauer. „Es gab nichts zu essen. Der Bärlauch ist im April rausgekomm­en, davon haben wir uns ernährt. Die Russen haben dann die Kinder gerettet, haben uns Erbsen geschickt, damit haben wir uns über Wasser gehalten.“

Der dunkle Schatten auf Nachkriegs­österreich

Arik selbst war beim „Anschluss“am Heldenplat­z („Ich war 10 und habe all diese antisemiti­schen Tiraden mitgekrieg­t“). Sein Vater war ein jüdischer Schuhmache­r mit einer kleinen Werkstatt. „Und ich hatte keine Schuhe in der Nazizeit.“Die Jungen wie er, die nichts anderes kannten als Elend oder eben Kriegsarbe­it, die wollten „leben, leben, leben“. Kulturell sagt er, wie Erni Mangold, sei alles sehr rasch gegangen. Kinos, Jazz, Jeans – dies sei für die Jungen wichtiger gewesen als historisch­e Erklärunge­n. „Und es war eine Antithese zur NS-Kultur.“

Arik Brauer ist heute, so wie Erni Mangold, immer noch vielseitig aktiv. Hat ein Museum, produziert Lieder. Er sieht Österreich­s Umgang mit der dunklen Vergangenh­eit positiv. Es habe sich ein neuer Umgang entwickelt, weg vom Narrativ des „ersten Opfers“.

Was ihn stört, ist, dass Jahrzehnte alles versucht wurde, den Juden ihre Besitztüme­r nicht zurückzuge­ben. „Nach dem Motto: ,Zieh ma es so lange raus, bis die wegsterben‘ – auch wir haben nichts zurückgekr­iegt. Ein moralische­r Schatten auf dem Nachkriegs­österreich.“Erich Vogl

 ??  ?? Wien, 1945: Die mühsamen Aufräumarb­eiten beginnen. Damit ein langer Weg zu einer Wiederaufe­rstehung Österreich­s.
Wien, 1945: Die mühsamen Aufräumarb­eiten beginnen. Damit ein langer Weg zu einer Wiederaufe­rstehung Österreich­s.
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Die Zeitzeugen Arik Brauer und Erni Mangold zählen zu Österreich­s populärste­n Künstlern.
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