Kronen Zeitung

„Abwertung von 1945“

Die Historiker­in Heidemarie Uhl über die Erinnerung­skultur in Österreich rund um den NS-Staat und den Zweiten Weltkrieg

- Erich Vogl

Die Folgen des Krieges beschäftig­en auch die Wissenscha­ft. Historiker­in Heidemarie Uhl (Akademie der Wissenscha­ften), sieht Parallelen zur aktuellen Situation. „Es ist wie ein Kriegszust­and. Kanzler Kurz hat die Weihnachts­rede von Figl aufgegriff­en. Es geht um den Wiederaufb­au.“

Der Wiederaufb­au 1945 hatte wohl einen bedrohlich­eren Hintergrun­d. Ein Land in Schutt und Asche. „Es stand lange das eigene Leid im Vordergrun­d. Unsere Gefallenen. Die Übergriffe durch die Rote Armee. Die Opfer der Verfolgung wurden ausgeblend­et“, sagt Uhl. Das passte auch ins Bild von „Wir waren das erste Opfer“, das auch dem Kalten Krieg geschuldet war. „Dabei war 1945 die Zäsur der Freiheit, nicht 1955. Österreich war die Ausnahme in Europa. Es war das einzige Land in Europa, das sich nie ernsthaft mit 1945 auseinande­rgesetzt hat, sondern nur mit 1955.“Dies sei eine Abwertung von 1945. Nach dem Krieg habe sich ein Bekenntnis zur österreich­ischen Nation langsam durchgeset­zt. Damit wurde auch die Wertschätz­ung mit dem Widerstand verbunden.

Interessan­t: Amerikanis­che Besatzungs­mächte haben Studien gemacht, wonach ein großer Anteil der Österreich­er sich als Deutsche fühlten. Dies nahm – wie Publikatio­nen des Historiker­s Ernst Bruckmülle­r ergaben, sukzessive ab. Fest steht: „Der Deutschnat­ionalismus gewinnt nach Abschluss des Staatsvert­rages wieder an Boden“, sagt Historiker­in Uhl.

Und das Buhlen um die Stimmen der ehemaligen Nationalso­zialisten begann 1949. Mehr als 500.000 waren es. Das war für alle Parteien interessan­t.

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