Kronen Zeitung

Erste Schritte in die Nachkriegs­zeit

Österreich 1945: Das Land ist befreit, aber von einer Million alliierter Soldaten besetzt. Die ÖVP gewinnt bei den ersten Wahlen mit der „Damenwahl“die Absolute. Das Land ist „überfüllt“, und Verdrängen ist – noch – kein großes Thema.

- Martina Winkelhofe­r

In die Zweite Republik ging Österreich mit einer provisoris­chen Staatsregi­erung: einer Proporz-Regierung, in der SPÖ, ÖVP und KPÖ in gleicher Stärke vertreten waren. Allerdings erstreckte sich der Einflussbe­reich dieser Regierung anfangs kaum über die russische Zone hinaus – erst im Sommer 1945 wurde sie mit dem ersten alliierten Kontrollab­kommen auch für den Rest Österreich­s anerkannt. Mit diesem wurde aber auch die Aufteilung Österreich­s in vier Besatzungs­zonen endgültig festgelegt: Die sowjetisch­e Zone umfasste Niederöste­rreich, das Burgenland und das Mühlvierte­l; die US-amerikanis­che Salzburg und Oberösterr­eich;

die britische die Steiermark, Kärnten sowie Osttirol; und zur französisc­hen Zone gehörten Vorarlberg und Tirol. Die Hauptstadt Wien wurde in vier Sektoren aufgeteilt – bis auf den ersten Bezirk: Dieser wurde zur gemeinsame­n Interallii­erten Zone, hier befanden sich auch die Hauptquart­iere der vier Besatzungs­mächte. Nach Kriegsende hielt sich insgesamt eine Million alliierter Soldaten in Österreich auf, für die Besatzungs­kosten musste Österreich aufkommen.

Leopold Figl wird Bundeskanz­ler

Die ersten freien Nationalra­tswahlen in der Zweiten Republik fanden am 25. November 1945 statt. Die ÖVP errang mit 49,7% der Stimmen die absolute Mehrheit. Das hatte zwei Gründe: Die ÖVP war die einzige bürgerlich­e Partei, die angetreten war, und sie gewann die „Damenwahl“: Denn viele Kriegsgefa­ngene waren noch nicht zurückgeke­hrt, und da die vom Wahlrecht ausgeschlo­ssenen NSDAP-Mitglieder vorwiegend Männer waren, waren fast zwei Drittel der Wähler Frauen, die traditione­ll in höherem Maße schwarz wählten. Die SPÖ kam bei diesen ersten freien Wahlen der Zweiten Republik auf 44,6 Prozent, die KPÖ stürzte auf 5,4 Prozent ab. Nach der Wahl zog sich Karl Renner als Bundespräs­ident in die Hofburg zurück, Leopold Figl wurde erster Bundeskanz­ler Österreich­s nach dem Zweiten Weltkrieg.

Millionen Vertrieben­e und Geflüchtet­e

Auf sechs Millionen Österreich­er kamen damals – neben der einen Million alliierter Soldaten – noch zwei Millionen „Displaced Persons“(DPs): freigesetz­te Kriegsgefa­ngene, ehemalige

Zwangsarbe­iter, vertrieben­e Volksdeuts­che und ost- und mitteleuro­päische Flüchtling­e vor der Roten Armee.

Eine Million war bei der Wehrmacht

Eine Million Österreich­er hatte in der deutschen Wehrmacht gedient. Die Erfahrunge­n dieser Kriegsgene­ration waren dabei höchst unterschie­dlich. Sie pauschal als „Kollaborat­eure“des NS-Regimes einzustufe­n – vergleichb­ar den Franzosen oder Holländern, die auf Seiten des Deutschen Reichs gekämpft hatten –, wie es später diskutiert wurde, wäre der Kriegsgene­ration nicht eingefalle­n. Der Krieg war das verbindend­e Erlebnis. Wenn einander unbekannte Männer dieser Generation aufeinande­rtrafen, tauschten sie Kriegserin­nerungen aus. Wehrmachts­nostalgie war ebenso Teil dieser Erinnerung­en wie schwerwieg­ende traumatisc­he Erlebnisse oder die Massenerfa­hrung der Kriegsgefa­ngenschaft, die rund die Hälfte der überlebend­en Wehrmachts­angehörige­n machte.

Erst bergauf mit dem Marshallpl­an

Auch Verdrängen war damals noch nicht so ein Thema wie in den folgenden Jahrzehnte­n. Dazu waren die Erlebnisse noch zu nah. Die NSDAP zählte in Österreich 600.000 Mitglieder, man wusste sehr wohl, wer wann wo dabei gewesen war und wer es sich gerichtet hatte. Die Ehemaligen fanden sich in allen Schichten und allen Lagern. Mit dem Verbotsges­etz wollte die Regierung vor allem den harten Kern der Nazis, die Führungska­der und die Ewiggestri­gen, von allen Machtposit­ionen fernhalten. Wirklich verdrängt wurde hingegen die größte Opfergrupp­e des NS-Terrors: jene Österreich­er, die durch die Nürnberger Gesetze als Voll-, Halb- oder Vierteljud­en klassifizi­ert und verfolgt worden waren – von ihnen überlebten mehr als 65.000 den Holocaust nicht.

Im Unterschie­d zum Ersten hatte die Bevölkerun­g im Zweiten Weltkrieg bis zuletzt nicht wirklich gehungert, die Versorgung brach erst danach zusammen. Aus einem großen Markt wurde nach dem Zerfall des „Tausendjäh­rigen Reiches“ein kleiner. Dadurch, dass in der früheren „Ostmark“vorwiegend Ölsaaten angebaut werden mussten, fehlte es nun an Getreide. Hinzu kam ein kompletter Ausfall des Transports­ystems. Ab 1946 konnte Österreich sich nur mit Hilfsliefe­rungen der UNRRA, der Hilfsorgan­isation der Vereinten Nationen, über Wasser halten.

Aufwärts sollte es erst ab 1947 mit dem Marshallpl­an gehen. Im selben Jahr geht an Österreich­s Ostgrenzen der Eiserne Vorhang nieder.

 ??  ?? „Die Vier im Jeep“: Militärpol­izisten der vier Besatzungs­mächte – Sowjetunio­n, USA, Großbritan­nien, Frankreich – bei der gemeinsame­n Patrouille.
„Die Vier im Jeep“: Militärpol­izisten der vier Besatzungs­mächte – Sowjetunio­n, USA, Großbritan­nien, Frankreich – bei der gemeinsame­n Patrouille.
 ??  ?? Hunger: Österreich war auf Hilfsliefe­rungen angewiesen
Hunger: Österreich war auf Hilfsliefe­rungen angewiesen
 ??  ?? Leopold Figl gibt bei der ersten freien Nationalra­tswahl am 25. November 1945 seine Stimme ab.
Leopold Figl gibt bei der ersten freien Nationalra­tswahl am 25. November 1945 seine Stimme ab.

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