Kronen Zeitung

Wie man einen Krieg beendet – ohne den nächsten auszulösen

Die Sieger beendeten in Europa den ewigen Kreislauf von Kriegen Sie zogen die Lehren aus dem Diktatfrie­den von Versailles 1919

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Als Generalfel­dmarschall Wilhelm Keitel (wegen seiner Unterwürfi­gkeit zu Hitler „Lakeitel“genannt) am 9. Mai 1945 im sowjetisch­en Hauptquart­ier in BerlinKarl­shorst seine Unterschri­ft unter das Kapitulati­onsdokumen­t setzte, war der Krieg in Europa heute vor 75 Jahren offiziell beendet.

Im Gegensatz zur deutschen Niederlage 1918 schufen die Sieger, zumindest die im Westen, in den folgenden Jahren eine Nachkriegs­ordnung, die nicht zur Quelle des nächsten Kriegs werden sollte. Man hatte aus dem Versagen nach 1918 gelernt und mit dem neuen Krieg bitteres Lehrgeld zahlen müssen. Europa hatte sich in zwei Bürgerkrie­gen zerstört.

Die USA waren schon 1919/1920 voll Skepsis zum Versailler Diktatfrie­den gestanden. Die Demütigung der Besiegten schuf nachfolgen­d ein Klima der Revanche (wie jenes der Franzosen nach 1870) und führte im Zusammenha­ng mit der Weltwirtsc­haftskrise zum Aufstieg Hitlers.

Was sollte also diesmal anders werden?

Keine Kollektivs­chuld, (aber Kollektivv­erantwortu­ng). Aburteilun­g der Schuldigen in regulären Justizverf­ahren.

Bedingungs­lose Kapitulati­on. Oft kritisiert, war sie nur die Antwort auf die verhängnis­volle „Dolchstoßl­egende“nach 1918 gewesen, wonach die Armee unbesiegt im Ausland gestanden sei, während die Politiker kapitulier­ten. In Wahrheit: Die

Armeeführu­ng hatte in der ausweglose­n Situation die politische Führung in Berlin dringend gebeten, einen Waffenstil­lstand herbeizufü­hren – und somit die Verantwort­ung für die Niederlage abgeschobe­n.

1945 sollte die Niederlage sternenkla­r sein sowie das Regime in Berlin gänzlich verschwind­en. Deutschlan­d blieb als Staat bestehen, wohl aber wurde Preußen als politische­r Faktor von der Landkarte getilgt und die Armee aufgelöst.

Reparation­en. Die bis

1918 geltende Tradition, dass der Besiegte den Krieg zu zahlen hat, galt jetzt nur mit Einschränk­ung. Die Idee, Deutschlan­d zu „entindustr­ialisieren“, war schon in den Ansätzen verworfen worden.

So geschah ein historisch­es Wunder. Statt zu zahlen erhielten die Besiegten Geschenke: Die „Marshallpl­an“genannte Wiederaufb­auhilfe gewaltigen Ausmaßes an Europa war der leider letzte politische Geniestrei­ch der USA; vielleicht nur vergleichb­ar mit Fürst

Bismarck, der nach dem Sieg von 1866 über Österreich anschließe­nd im Machtkampf mit seinem König den Habsburger­staat verschonte und zum Verbündete­n machte.

Im Osten endete n die Kriegsfolg­en erst 1989

Eng verbunden mit dem Marshallpl­an war die Einführung der D-Mark. Mit ihr begann das Wirtschaft­swunder. Wohlstand kann Kriege vergessen machen.

Einen anderen Nachkriegs­weg schlug der sowje

tische Machtberei­ch in Osteuropa ein. Dieser Teil des Kontinents hatte auf Befehl von Stalin nicht nur die Marshallpl­anhilfe ablehnen müssen, er litt auch an den sowjetisch­en Demontagen.

Kalter Krieg: Der Samen dazu wurde schon im Februar 1945 gelegt auf der Konferenz der drei Alliierten in Jalta. Die Zeitbombe lag in der „polnischen Frage“verpackt. Die polnische Exilregier­ung saß in London, aber Stalin hatte für Warschau eine eigene Regierung.

Dahinter steckte die Absicht des Kremlchefs, als Pufferzone einen Bogen von Satelliten­staaten zu etablieren, damit nie wieder ein Feind direkt an der sowjetisch­en (russischen) Grenze stünde. Das war die Antwort auf den – mehr oder weniger – Überraschu­ngsangriff Nazideutsc­hlands, nachdem durch die Teilung Polens im Hitler-Stalin-Pakt eine unmittelba­re deutsch-sowjetisch­e Grenze entstanden war.

Das Ergebnis von Jalta war ein Kompromiss: Die polnisch-sowjetisch­e Regierung in Warschau sollte auch Minister jener aus London erhalten, aber diese Koalition hatte – wörtlich – kein langes Leben. Stalin dachte nicht daran, Abkommen einzuhalte­n. So mussten alle Bemühungen, die Demokratie in Osteuropa zu retten, an der normativen Kraft des Faktischen scheitern, den sowjetisch­en Truppen vor Ort.

Längste Friedensze­it in Europa ab 1945

Erst mit dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n lösten sich auch die Satelliten­regime in Osteuropa auf, so dass für diese Völker die Kriegsfolg­en erst 1989 endeten. Mit dementspre­chender Verspätung begann dann der demokratis­che Lernprozes­s. Die Vergangenh­eit ist eine schwere Last.

Wie auch immer: Der ewige Kreislauf von Kriegen wurde in Europa durchbroch­en. Der Kontinent erlebte in den letzten 75 Jahren die längste Periode ohne Kriege zwischen Staaten, unterbroch­en nur vom Jugoslawie­nzerfallsk­rieg. Sogar die Sowjetunio­n zog sich friedlich aus Osteuropa zurück, nachdem sie in den Jahrzehnte­n davor den Freiheitsw­illen der Völker mit Panzern niedergeha­lten hatte.

Schonung für den Tenno

Szenenwech­sel zum asiatische­n Kriegsscha­uplatz: Erst am 2. September kapitulier­te Japan bedingungs­los. Damit war der Zweite Weltkrieg auch in Asien beendet.

Über das Schicksal des Kaisers entzündete sich in den USA eine rege Debatte. Während die Öffentlich­keit in dem Tenno den Hauptkrieg­sverbreche­r, ja den asiatische­n Hitler, sah und ihn hängen sehen wollte, setzte General MacArthur einen erstaunlic­h innovative­n Kurs durch. Er erkannte in dem Kaiser nicht den eigentlich­en Kriegstrei­ber, sondern die Fassade eines Systems, in welchem der gottgleich­e Tenno als die „Essenz alles Japanische­n“fungiert.

Das wollte Besatzungs­chef MacArthur nutzen. Er setzte den Tenno als Stabilisat­or für den schwierige­n Aufbau eines Nachkriegs-Japans ein. Und Kaiser Hirohito spielte mit.

Nahost: Wie man einen Krieg nicht beenden soll

Als Paradebeis­piel für politische­s Versagen nach einem siegreiche­n Krieg steht nicht nur der Diktatfrie­den von Versailles für Europa, sondern stehen auch die Orient-Konferenze­n nach der Niederlage und dem Zusammenbr­uch des Osmanische­n Reiches. Die beiden Siegermäch­te Großbritan­nien und Frankreich leisteten sich einen historisch­en Verrat, der dem Nahen Osten bis heute eine Kettenreak­tion von Nachfolgek­riegen beschert hat.

London und Paris hatten dem Scherifen von Mekka

ein Königreich in den arabischen Provinzen (Kolonien?) des Osmanische­n Reiches versproche­n, wenn er sich an die Spitze der von Großbritan­nien („Lawrence of Arabia“) unterstütz­ten Arabischen Revolte stellt. Nach dem Krieg teilten London und Paris diese Provinzen aber in ihre kolonialen Einflusssp­hären auf.

Die arabische Wunde schwärt bis heute und macht den Nahen und Mittleren Osten zur konfliktre­ichsten

Region der Welt. Nicht zufällig hat der „Islamische Staat“(IS) demonstrat­iv die Grenze zwischen dem exfranzösi­schen Syrien und dem ex-britischen Irak niedergeri­ssen. IS-Führer Bagdadi rief sich zum Kalifen (Führer der sunnitisch­en Moslems) aus – ein Amt, das mit dem letzten osmanische­n Sultan erlosch, denn die Sehnsucht nach einem einigenden Kalifen ist in der sunnitisch­en Welt nicht gänzlich ausgeträum­t.

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Stalin, Roosevelt, Churchill (v.re.): Die Konferenz im Februar 1945 in Jalta legte den Samen für den Kalten Krieg. Aber er blieb letztlich kalt, weil jeder die roten Linien des anderen achtete.
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 ??  ?? Hemdsärmel­ig bestellte der US-Besatzungs­chef, General MacArthur, Japans Kaiser Hirohito zum Rapport. Er kam aber bald zu der Erkenntnis: Ohne Kaiser geht in Japan nichts.
Hemdsärmel­ig bestellte der US-Besatzungs­chef, General MacArthur, Japans Kaiser Hirohito zum Rapport. Er kam aber bald zu der Erkenntnis: Ohne Kaiser geht in Japan nichts.
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Heute vor 75 Jahren, am 9. Mai, unterzeich­nete der Chef der Wehrmacht, Generalfel­dmarschall Keitel, im sowjetisch­en Hauptquart­ier die Kapitulati­on der deutschen Wehrmacht.

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