Erdrückende Zahl
Sie war immer die Erste auf der Tanzfläche. Er liebte den Vollmond über dem Meer. Sie war eine stolze Single-Mutter von drei Kindern . . . Elsie, John, Miguel, Britta Lou . . . Die Liste scheint kein Ende zu nehmen. Am Wochenende holte die „New York Times“die Toten der Corona-Krise in Amerika aus der Anonymität. Stellvertretend für die kaum fassbare Zahl von 100.000 Opfern druckte sie 1000 Namen auf der Titelseite ab. Kein Foto, keine Illustration, nur die Flut an Buchstaben, die dieser Zahl ein erdrückendes Antlitz gab. Auf der Webseite wurden den Namen sogar noch liebevolle Attribute hinzugefügt. Um mit schlichten Worten daran zu erinnern, dass hinter 100.000 Toten 100.000 menschliche Schicksale stecken.
Zurzeit werden ständig Statistiken bemüht, Kranke und Tote zu nüchternen Zahlen degradiert. Doch Zahlen können niemals ein Menschenleben bemessen, nie berechnen, wie groß der Schmerz ist, der sich über ein Land und seine Bewohner legen kann, so die Botschaft der „NYT“.
Es ist ein Schmerz, den wir in diesem gigantischen Ausmaß, wie er die USA trifft, dank der frühen Maßnahmen nicht erleiden müssen. Das Cover der „NYT“könnte auch für all jene eine eindringliche Mahnung sein, die bei uns nun dem „Präventionsparadoxon“erliegen und im Nachhinein gegen die strikten Beschränkungen aufbegehren, weil eh alles nicht so tragisch war. Doch auch hinter einer „guten Statistik“stecken bereits viel zu viele Tragödien. Sind wir dankbar, dass uns die „Zahlen“nicht erdrücken.