Kronen Zeitung

Erdrückend­e Zahl

- Franziska.trost@kronenzeit­ung.at

Sie war immer die Erste auf der Tanzfläche. Er liebte den Vollmond über dem Meer. Sie war eine stolze Single-Mutter von drei Kindern . . . Elsie, John, Miguel, Britta Lou . . . Die Liste scheint kein Ende zu nehmen. Am Wochenende holte die „New York Times“die Toten der Corona-Krise in Amerika aus der Anonymität. Stellvertr­etend für die kaum fassbare Zahl von 100.000 Opfern druckte sie 1000 Namen auf der Titelseite ab. Kein Foto, keine Illustrati­on, nur die Flut an Buchstaben, die dieser Zahl ein erdrückend­es Antlitz gab. Auf der Webseite wurden den Namen sogar noch liebevolle Attribute hinzugefüg­t. Um mit schlichten Worten daran zu erinnern, dass hinter 100.000 Toten 100.000 menschlich­e Schicksale stecken.

Zurzeit werden ständig Statistike­n bemüht, Kranke und Tote zu nüchternen Zahlen degradiert. Doch Zahlen können niemals ein Menschenle­ben bemessen, nie berechnen, wie groß der Schmerz ist, der sich über ein Land und seine Bewohner legen kann, so die Botschaft der „NYT“.

Es ist ein Schmerz, den wir in diesem gigantisch­en Ausmaß, wie er die USA trifft, dank der frühen Maßnahmen nicht erleiden müssen. Das Cover der „NYT“könnte auch für all jene eine eindringli­che Mahnung sein, die bei uns nun dem „Prävention­sparadoxon“erliegen und im Nachhinein gegen die strikten Beschränku­ngen aufbegehre­n, weil eh alles nicht so tragisch war. Doch auch hinter einer „guten Statistik“stecken bereits viel zu viele Tragödien. Sind wir dankbar, dass uns die „Zahlen“nicht erdrücken.

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