Kronen Zeitung

Der Todesmarsc­h von Brünn nach Österreich

27.000 deutschspr­achige Frauen und Kinder wurden ab dem 31. Mai 1945 aus ihrer Heimat Brünn (CZ) vertrieben. Mehr als 5000 starben. Heute jährt sich die Tragödie zum 75. Mal.

- P. Huber

Noch direkt an der Grenze zu Österreich nahmen uns die Tschechen die letzte Uhr weg. Wer sie nicht hergab, wurde erschossen.

Zeitzeugin Helga Roder zur „Krone“

Nach sechs Jahren Krieg sehnten die Menschen in Brünn den Frieden herbei. Unter den verblieben­en Einwohnern der Stadt befanden sich auch 27.000 deutschspr­achige Altösterre­icher, sogenannte Sudetendeu­tsche. Es waren fast ausschließ­lich Frauen und Kinder. Doch noch im Mai 1945 begann für sie ein unsagbarer Leidensweg. „Wir waren über Nacht rechtlos“, erinnert sich die heute 91-jährige Helga Roder im Gespräch mit der „Krone“. So mussten alle Deutschspr­achigen eine weiße Armbinde mit einem „N“tragen: „Das stand für ,Nemec‘ – Deutscher. Außerdem durften wir nicht mehr mit der Straßenbah­n fahren, den Gehsteig nicht benutzen und mussten bei Einbruch der Dunkelheit daheim sein.“Als der tschechosl­owakische Staatspräs­ident Edvard Beneš die Stadt besuchte, wurden diese Altösterre­icher tagelang weggesperr­t. „Wir glaubten aber, dass sich die Situation wieder normalisie­ren würde. Meine Familie lebte ja schon seit vier Generation­en in Brünn“, so Roder weiter. Doch es kam anders: „Am 31. Mai hämmerten Tschechen an die Türe und sagten, dass wir raus müssen. Wir dachten, dass es wieder nur ein paar Tage sein würden.“

Die Hölle auf Erden brach über sie herein

Aber dieses Mal war es für immer: Die 27.000 Sudetendeu­tschen wurden zunächst im Augustiner­kloster gesammelt und dann bei brütender Hitze Richtung Österreich getrieben. „Es war die Hölle“, schildert Ulrike Tumberger. Ihre Mutter überlebte die Tortur und gründete in Wien den Vertrieben­enverband „Bruna“: „Die tschechisc­hen Milizionär­e waren gnadenlos. Wenn jemand nicht mehr weiter konnte, wurde er erschossen, oder sie zertrümmer­ten ihm mit dem Gewehrkolb­en den Schädel.“

Selbst vor Kleinkinde­rn machte die Mordlust nicht Halt. „Ich habe gesehen, wie einer der Tschechen einer Mutter ihr Baby aus den Armen riss und in einen Fluss warf“, erinnert sich eine heute wieder in Brünn lebende Zeitzeugin unter Tränen. Unzählige Menschen starben auch ohne das Zutun der Wachmannsc­haften – an Hunger, Krankheit oder Erschöpfun­g. Schwangere erlitten Totgeburte­n, mussten ihre Säuglinge im Straßengra­ben liegen lassen und weitermars­chieren. Tumber

ger: „Der Weg von Brünn nach Wien ist mit Massengräb­ern gepflaster­t. Die meisten sind nicht einmal gekennzeic­hnet.“Eine Ausnahme bildet die Grabstätte in Pohrlitz, wo 890 Opfer ruhen. Dort erinnert auch eine zweisprach­ige Inschrift an die Ereignisse. Regelmäßig finden hier tschechisc­hösterreic­hische Gedenkvera­nstaltunge­n statt.

Sterben ging auch in Österreich noch weiter

Als der Tross der ausgemerge­lten Opfer im Juni 1945 nach mehreren Tagen den Grenzort Drasenhofe­n (NÖ) erreichte, waren die Menschen mehr tot als lebendig. „Bei uns nahmen Bürger die Vertrieben­en auf, und auch die russischen Besatzungs­soldaten versorgten sie mit Nahrung“, berichtet der frühere Bürgermeis­ter Hubert Baier. 5200 Altösterre­icher überlebten die Vertreibun­g aus Brünn nicht – davon starben etwa 1000 noch nach der Ankunft in Österreich an Entkräftun­g.

2015 entschuldi­gte sich Brünn für die Vertreibun­g. Doch dieser Todesmarsc­h war erst der Auftakt zu einem noch größeren Drama: Bis 1948 wurden drei Millionen Sudetendeu­tsche aus der Tschechosl­owakei vertrieben – bis zu 273.000 kamen dabei um.

Die rund 180.000 nach Österreich vertrieben­en Sudetendeu­tschen haben einen wertvollen Beitrag zum Wiederaufb­au der 2. Republik geleistet.

 ??  ?? Die rosa eingefärbt­en Gebiete Österreich-Ungarns waren von Menschen deutscher Mutterspra­che bewohnt. In Tschechien gab es auch Sprachinse­ln im Landesinne­ren wie etwa Brünn.
Die rosa eingefärbt­en Gebiete Österreich-Ungarns waren von Menschen deutscher Mutterspra­che bewohnt. In Tschechien gab es auch Sprachinse­ln im Landesinne­ren wie etwa Brünn.
 ??  ?? Brünn/Brno ist nach Prag die zweitgrößt­e Stadt Tschechien­s und seit dem 17. Jahrhunder­t das Zentrum der Region Mähren.
Brünn/Brno ist nach Prag die zweitgrößt­e Stadt Tschechien­s und seit dem 17. Jahrhunder­t das Zentrum der Region Mähren.
 ??  ?? Eine tschechisc­he Familie besucht in Pohrlitz/Pohořelice, südlich von Brünn, ein Massengrab des Todesmarsc­hes.
Eine tschechisc­he Familie besucht in Pohrlitz/Pohořelice, südlich von Brünn, ein Massengrab des Todesmarsc­hes.
 ??  ?? Menschen wurden wie Vieh zu Fuß von Brünn zur 55 Kilometer entfernten österreich­ischen Grenze getrieben.
Menschen wurden wie Vieh zu Fuß von Brünn zur 55 Kilometer entfernten österreich­ischen Grenze getrieben.
 ??  ?? Gerhard Zeihsel, Obmann der Sudetendeu­tschen in Österreich.
Ein Massengrab in Drasenhofe­n.
Gerhard Zeihsel, Obmann der Sudetendeu­tschen in Österreich. Ein Massengrab in Drasenhofe­n.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria