War es Lust oder Qual, Herr Schüssel?
Wolfgang Schüssel wird 75. Im Geburtstagsinterview spricht der ehemalige Bundeskanzler über Mut und Macht, die FPÖ, seinen jungen Nachfolger, Cellos und Frauen und ein Leben nach dem Tod.
Sein Büro bei der „Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik“befindet sich über den Arkaden der Spanischen Hofreitschule in Wien 1. In der Ecke steht ein Klavier, „erst gestern hab ich wieder ein Privatkonzert gegeben“, lacht Wolfgang Schüssel und nimmt vor einem riesigen Scherenschnitt der Künstlerin Anna Stangl Platz. Das Werk ist mit Hunderten kleinen Nägeln an der Wand befestigt. Auf dem Tischchen zwischen unseren Fauteuils ist sein neues Buch aufgestellt.
Warum haben Sie dieses Buch geschrieben, Herr Dr. Schüssel?
Mich haben die Doppelmemoiren des französischen Diplomaten und Literaten Jean Giraudoux inspiriert, mir ist das Buch auf Schloss Ellmau in die Hände gefallen. Nicht dass ich literarisch auch nur annähernd diesen Himalaya erklimmen könnte, aber die Mischung aus Aphorismen und Begegnungen haben mich fasziniert. Also habe ich in meinem Gedächtnis gestierlt und meine Zeichnungen durchgeschaut, und dann ist das im Lauf des letzten Jahres gewachsen.
War es mehr Lust oder Qual?
Qual würde ich nicht sagen, aber es war schwierig, weil meine Disziplin eigentlich die Rede ist. Das ist was ganz anderes als ein knapper Text, das Buch besteht ja aus 200 kleinen Geschichten. Jede könnte ich in einem Essay von 10 Seiten ausbreiten. Mein Anspruch war es, sie so zu verdichten, dass sie trotzdem spannend und gehaltvoll bleiben. Das ist Arbeit, Lust wäre also genauso übertrieben.
Im Vorwort beschreiben Sie sich als „Possibilisten“. Was soll das sein?
Auf die Frage „Sind Sie
Optimist oder Pessimist?“habe ich früher immer geantwortet: „Optimist, denn Pessimist ist der einzige Mist, auf dem nichts wächst.“Heute gefällt mir der dritte Begriff, er stammt von Hans Rosling, besser. Ein Possibilist findet immer eine bessere Alternative und schafft sich und anderen eine bessere Welt.
Sie waren sieben Jahre lang Bundeskanzler dieser Republik, sind mit 12 Jahren längstdienender ÖVP-Obmann. Wie würden Sie Ihr politisches Vermächtnis in einem Satz beschreiben?
Vermächtnis klingt, als wäre ich bald tot . . . Ein Satz reicht nicht aus. Deshalb zitiere ich Shimon Peres, der kurz vor seinem Tod auf die Frage, ob er etwas bedaure, sagte: „Meine Träume waren nicht groß
genug.“Ich finde, das ist ein unglaublich schöner Satz. Den sollte sich jeder junge Mann oder jede junge Frau, die in die Politik geht, zu Herzen nehmen. Mutig sein, sich was trauen, träumen! Nicht im irrealen, sondern eben im possibilistischen Sinn.
Wie mutig waren Sie?
Feigheit hat mir nie jemand vorgeworfen. Aber es gibt natürlich immer Luft nach oben. Letztlich müssen es andere entscheiden.
Ärgern Sie sich, dass von Ihrer Zeit in vielen Köpfen vor allem das Bild, auf dem Sie mit Haider im Porsche sitzen, und so mancher Skandal übrig bleiben?
Das Porsche-Foto war ja ein privates Bild, da waren meine Frau und ich bei Jörg Haider und seiner Familie im Bärental eingeladen. Ich habe das nie ganz verstanden, normalerweise ist ja der Chauffeur nicht derjenige, der die Gestaltungsmacht hat. Jörg Haider hat sicher nicht meine Politik gesteuert, sondern nur das Lenkrad. Die Politik habe ich in
Das Porsche-Foto war ja ein privates Bild. Jörg Haider hat sicher nicht meine Politik gesteuert, sondern nur das Lenkrad.
Ich war sieben Jahre lang Bundeskanzler. Es gibt keine einzige Geschichte, die mir was Unehrenhaftes oder gar Kriminelles hätte nachweisen können.
Wien mit Susanne Riess, die ich sehr geschätzt habe und noch immer extrem schätze, gestaltet und natürlich auch mit Grasser, Scheibner, Gorbach. Das waren schon auch beachtliche Persönlichkeiten. Und nicht alles, was als Skandal ausgeschildert ist, ist auch ein Skandal. Ich war ja immerhin vier Jahrzehnte im Parlament, fast zwei Jahrzehnte in der
Regierung, sieben Jahre als Bundeskanzler. Es gibt keine einzige Geschichte, die mir etwas Unehrenhaftes oder gar Kriminelles hätte nachweisen können.
„Wer keine Grenzen anerkennt, rücksichtslos agiert und sich selbstverliebt verwirklicht, sollte besser einen weiten Bogen um die Politik machen.“Haben Sie da Sebastian Kurz gemeint?
Nein, das ist ein ganz genereller Satz. Politik ist eine unglaublich schöne, verantwortungsvolle, nicht immer ganz leichte, aber faszinierende Aufgabe. Politik ist Dienst an der Gesellschaft. Jeder, der glaubt, er wird dort reich oder kann sich selbst verwirklichen, ist am falschen Platz. Die Bevölkerung ist klug genug, um das zu durchschauen. Sebastian Kurz, den amtierenden Bundeskanzler, schätze ich außerordentlich, der macht das hervorragend, sehr professionell und umsichtig, was nicht so selbstverständlich ist für einen jungen Mann.
Dem jungen Kanzler werden oft absolutistische Ambitionen nachgesagt. Wie sehen Sie das?
Das ist doch nur ein Pickerl, das ihm auf die Stirn gepickt wird. Wir leben in einer Demokratie. Mit 38 oder auch 40 Prozent hast du nie einen absoluten Machtanspruch. Du bist hinten und vorne kontrolliert, von der Öffentlichkeit, von der Opposition, von den Gerichten, von der Justiz. Dass jeder Politiker Macht anstrebt, ist klar. Er braucht sie ja auch.
Ihre Note für sein Corona-Krisenmanagement?
Ich finde, er hat Mut bewiesen. Sonst hätte er viele Entscheidungen so nicht treffen können. Mut ist eine Eigenschaft, die eine Führungspersönlichkeit auszeichnet. Denn Politik hat ja sehr viel damit zu tun, dass in unsicheren Situationen, wo nicht alle Entscheidungen und nicht alle Informationen zu hundert Prozent auf dem Tisch liegen, trotzdem entschieden werden muss. Nietzsche hat gesagt: „Wenn du handeln willst, musst du die Tür zum Zweifel schließen.“Der Politiker kann nicht immer nur zuwarten. Der muss sich hinstellen und seine Verantwortung wahrnehmen.
Fällt Ihnen gar kein Kritikpunkt ein?
Ach, das ist doch eure Aufgabe. Ihr findet sicher bald wieder ein paar Krümel.
Sebastian Kurz macht seine Sache hervorragend, sehr professionell und umsichtig. Das ist nicht so selbstverständlich für einen jungen Mann.