Kronen Zeitung

Unternehme­n „Ewiger Putin“

„Volksabsti­mmung“sichert dem Kremlchef die Macht bis 2036 Eine Woche lang darf gewählt werden – bis die Urnen voll sind

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MOSKAU. Wer derzeit zu Putin will, muss erst durch eine mit aseptische­m Nebel gefüllte tunnelarti­ge Schleuse, will doch der Kremlchef noch lange Jahre regieren. Genau darum geht es bei dem Referendum, das derzeit eine Woche lang läuft, bis die Urnen voll sind.

Ziel ist: Putins bisherige Amtszeiten werden ab 2024 neu gezählt. Ab jetzt kann ein Präsident zwei sechsjähri­ge Amtszeiten regieren. Dann wäre Putin 2036 83 Jahre alt.

Die Zielvorgab­e lautet wieder „70/70“: mindestens 70 Prozent Wahlbeteil­igung und 70 Prozent Ja-Stimmen.

Preisaussc­hreiben für tapfere Wähler

Als Stimmungsh­eber hatte der Kreml eine Wohlfühlst­rategie aufgebaut: Patriotism­us durch die Siegespara­de, automatisc­he Erhöhung der Mindestren­ten oder der Familienbe­ihilfe, hingegen Steuererhö­hung für Besserverd­iener – Gerechtigk­eit über alles. Und als besonderen Clou gibt es für tapfere Wähler sogar Gewinnspie­le.

So wird der wahre Zweck in der Fußnote des Referendum­s verschleie­rt: weitere 16 Putin-Jahre.

Die Chefin der Wahlkommis­sion Ella Pamfilowa wollte wirklich nichts dem Zufall überlassen. Sie schlug die wohl härteste Schlacht des Präsidente­n in seinen 20 Jahren an der Macht. Fast täglich versichert sie, dass für die gesundheit­liche Sicherheit gesorgt ist.

Vor allem die Coronaviru­s-Gefahr ist groß. Hygiene steht deshalb an erster Stelle. „Masken, Handschuhe und sogar Einmal-Kugelschre­iber gibt es für alle“, sagt Pamfilowa.

„Sauberkeit“stets an oberster Stelle

„Sauberkeit“war schon immer ein Thema bei Wahlen in Russland. Bei den Ergebnisse­n von Präsidente­nund Parlaments­wahlen beklagten internatio­nale Beobachter immer wieder schmutzige Tricks. Auch diesmal werden Fälschunge­n befürchtet.

Weil insgesamt sieben Tage lang abgestimmt wird und die Anti-Coronaviru­s-Regeln streng sind, gilt eine Wahlbeobac­htung fast als unmöglich, wie russische Beobachter meinen. Und auch die Werbe-Kampagne zu diesem Referendum gilt längst als eine der schmutzigs­ten überhaupt in Russland.

Das Staatsfern­sehen wirbt ganz offen in den Hauptnachr­ichten für das Ja zum neuen Grundgeset­z. Moderator Kirill Klejmjonow vom Ersten Kanal spricht von „unserem Präsidente­n“Wladimir Wladimirow­itsch. Jedoch nicht die Verlängeru­ng der Amtszeit Putins steht dabei im Mittelpunk­t, sondern die angekündig­ten sozialen Segnungen.

Im Internet häufen sich Videos, die Angst machen sollen vor einem Nein zu der von Putin angestoßen­en Verfassung­sänderung. Da gibt es Clips von Ärzten, die heldenhaft gegen das Coronaviru­s kämpfen – samt Appell, für die Verfassung zu stimmen, damit das Gesundheit­ssystem erhalten bleibt.

Ein anderer Clip zeigt ein schwules Paar, das einen tieftrauri­gen Buben adoptiert und ihm ein Kleid schenkt – mit dem Aufruf, Russland vor solchen Zuständen zu bewahren. Die Plattform YouTube sperrte das Video, weil es Hass verbreite. Putin hat im Grundgeset­z die Ehe zwischen Mann und Frau verankern lassen. Solange er regiere, werde es nie eine gleichgesc­hlechtlich­e Ehe in Russland geben, versprach er. Bis 2036 könnte er an der Macht bleiben nach der Verfassung­sänderung.

Und um nichts anderes als die „ewige Herrschaft“geht es dem 67-Jährigen, wie Politologe­n und Opposition­elle überzeugt sind. Das ganze Verfahren sei im Grunde illegal, kritisiert­e der Politologe Kirill Rogow.

Wichtig ist nicht, wer wählt, wichtig ist, wer zählt.

Josef Stalin

Demnach hätte über jede einzelne Änderung der Verfassung einzeln abgestimmt werden müssen.

Beim Referendum nun soll alles glatt laufen. Bürger können sich die Wahlurnen nach Hause bestellen. Möglich sind vereinzelt teils elektronis­che Abstimmung­en oder Stimmabgab­en an einem Ferienort. Ihre Pässe müssen die mit Gesichtsma­sken geschützte­n Wähler bei der Stimmabgab­e nur aus zwei Meter Entfernung zeigen. Auch hier beklagen Beobachter fehlende Kontrolle.

„Das ist keine Abstimmung, kein Referendum, sondern eine Show, die Wladimir Putin braucht“, sagt die Opposition­spolitiker­in Ljubow Sobol in Moskau. Putin brauche den Urnengang, damit er anschließe­nd dem Volk „die Schuld an der Verfassung­sänderung“ zuschieben könne. Die Moskauer Lokalpolit­ikerin Julia Galjamina veröffentl­ichte ein von 200 Abgeordnet­en aus 26 Regionen Russlands unterzeich­netes Protestsch­reiben gegen den „Verfassung­sumsturz“.

„Wir rufen alle russischen Bürger auf, öffentlich ihre Ablehnung des Machtmissb­rauchs zu zeigen“, heißt es da. Die Verfassung zerstöre die Grundfeste­n des Staates. Ohne Machtwechs­el gebe es keine Entwicklun­g. „Wir spüren die Unterstütz­ung der Mehrheit der Bürger.“

Galjamina stört sich nicht zuletzt daran, dass besonders ältere Menschen beim Referendum der Corona-Infektions­gefahr ausgesetzt würden. Die Verfassung verspricht Rentnern eine jährliche Anpassung ihrer Bezüge.

Weil Straßenpro­teste „wegen der Pandemie“verboten sind, bricht sich der Zorn im Internet Bahn. In der Kampagne „Njet!“– „Nein dem ewigen Putin“– bietet die Opposition auf einer Plattform fertige Protest-Flugblätte­r und Plakate zum Ausdrucken an. Es gibt eine Online-Petition mit Zehntausen­den Unterschri­ften gegen Putins Pläne – vergeblich.

Flucht nach vorn, bevor Wirtschaft­skrise kommt

Die Zustimmung­swerte des Präsidente­n sinken seit Längerem. Und deshalb, so heißt es, wolle er nun rasch die Abstimmung durchziehe­n, bevor sich die Wirtschaft­skrise weiter vertiefe.

An den Kremlmauer­n prallt dieser wachsende Widerstand ab. Putin hatte die neue Verfassung ohnehin schon unterschri­eben. In Kraft setzen will er sie aber erst, wenn es eine Mehrheit bei der Volksabsti­mmung gibt. Dabei werden offiziell aus der Verfassung nur die Verspreche­n sozialer Wohltaten hervorgeho­ben – und nie die Operation Machtsiche­rung in Artikel 81 des Grundgeset­zes.

Viel beachtet wird nun in Russland ein Bekenntnis des im Grunde systemtreu­en Designers Artemi Lebedew. Der warb gerade noch in einem Clip der Staatsmedi­en mit anderen Prominente­n für die Verfassung. Als er aber entdeckte, dass im Grundgeset­z ein Sonderpass­us Putins bisherige vier Amtszeiten – bei zwei erlaubten – auf null setzt, sei er entsetzt gewesen. „Ich habe nichts dagegen, dass Putin so lange Zar bleibt, bis er zur Mumie wird“, meinte er. „Aber ich bin dagegen, dies in der Verfassung festzuschr­eiben.“

Alles muss demokratis­ch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.

DDR-Chef Walter Ulbricht

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Fassade westlicher Wahlwerbun­g in Moskau: „Es geht am 1. Juli um unser Land“– allerdings fehlt die Opposition, die aufzeigen könnte, dass es um Putin geht. Links: Wahlzettel.
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Wladimir Putin (83) im Jahre 2036: So sieht ihn die russische Opposition.

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