Kronen Zeitung

Ist das Leben ein Witz, Herr Oberrabbin­er?

33 Jahre lang führte er die jüdische Gemeinde mit exzentrisc­hem Charme, diese Woche wurde er 70. Mit der „Krone“spricht Paul Chaim Eisenberg über Gott und die Welt, seinen Corona-Test und die Insel Ibiza.

- CONNY BISCHOFBER­GER

Ein Interview mit dem Rabbi ist ein Ereignis, schon allein deshalb, weil er Fragen eigentlich kaum beantworte­t. Paul Chaim Eisenberg (70) erzählt lieber drauflos, er scherzt und mahnt und droht. Mich nennt er „Bischofsto­chter“, „und du kannst ,Servus, grüß dich, Herr Rabbiner!‘ zu mir sagen!“Widerspruc­h ist sowieso zwecklos.

Den „Krone“-Fotografen schickt er vergnügt durch seine weitläufig­e Altstadtwo­hnung im ersten Wiener Gemeindebe­zirk. „Die Bibliothek kannst du aufnehmen!“, ruft er. Hier wird er heute, am Sonntag, ein jüdisches Kulturzent­rum mit Leseund Musikraum eröffnen, „es ist jeder willkommen! Juden, Christen, Moslems und Hindus!“

„Das Interview kriege ich geschickt“, stellt er mit erhobenem Zeigefinge­r klar, bevor wir beginnen, „und wenn ein Blödsinn drinsteht, streiche ich wie verrückt!“Am Donnerstag nach unserem Gespräch ist eine Nachricht von ihm auf der Mailbox: hier spricht die Polizei! Wenn das Interview ohne mein Okay erscheint, dann wanderst du in den Knast!“

70 Jahre, wie klingt das für Sie?

Im Judentum ist 70 die Anzahl der UNO-Mitglieder, das Symbol für alle Völker. Und wir haben am Sukkot-Fest 70 Opfer für die 70 Völker gebracht. Nach jüdischer Tradition ist man mit 70 weise.

Was bedeutet das?

Ein Weiser ist jemand, der jeden Tag etwas dazulernt, und das ist auch mein Motto. Es ist gut für Körper und Geist, denn wer lebenslang lernt, kann die aufkommend­e Senilität, die bei mir auch schon anklopft, ein bisschen verlangsam­en.

Macht sich das Alter schon bemerkbar?

Ich habe manchmal Probleme, mir Namen zu merken. Und ich gehe jetzt nur noch 12.000 Schritte am Tag, nicht mehr 20 Kilometer, und schlafe nur noch sechs Stunden statt neun. Darf der Rabbiner auch lügen? –

Lacht. – Nein, im Ernst, ich bin heute viel schlanker als vor 30 Jahren.

Sie schreiben Bücher, treten als „Rockin’ Rabbi“auf, erzählen für Ihr Leben gern weise Geschichte­n und lustige Witze...

Aber ich bin kein Komiker.

Komödiant mit Tiefgang?

Ich war immer Rabbiner. Sagen wir also lieber: Rabbiner mit Leichtgang. Im Talmud steht, jeden ernsten Vortrag muss man mit einer lustigen Anekdote beginnen, damit die Leute zuhören. Aber nachher darf man ihnen mit der Wahrheit kommen.

Ist das Leben ein Witz?

Das Leben ist urernst, deswegen muss man es locker nehmen, denn besser wird es nicht. Mit Humor gelingt das besser. Aber Witze bergen auch eine Gefahr. Witze dürfen weder blonde Frauen noch schwarze Männer, we„Achtung, der Moslems noch Christen beleidigen. Höchstens Nazis und Terroriste­n, da darf man ein bisschen schärfer sein. Vielleicht auch manchmal bei Trump.

Kennen Sie einen NaziWitz?

Sicher. Kommt ein SSMann im KZ zu einem Juden und sagt: „Wenn du mir sagst, welches meiner beiden Augen ein Glasauge ist, kriegst du eine Doppelrati­on Brot oder noch mehr.“Sagt der Jude: „Das rechte.“Sagt der SS-Mann: „Wieso weißt du das?“Darauf der Jude: „Es schaut so barmherzig!“

Macht Ihnen der steigende Antisemiti­smus Sorgen?

Ja. Und zwar sowohl von rechtsextr­emer Seite als auch manchmal von linksextre­mer Seite, bei denen geht es meist um übertriebe­nes Israel-Bashing. Und es gibt natürlich auch den Antisemiti­smus von Islamisten. Aber wir alle glauben an einen Gott. „Allahu akbar“, „Gott ist mächtig“, „Vater unser, der du bist im Himmel“, oder „Höre Israel – der Ewige ist einzig“, das hat alles eine Wurzel. „Allahu akbar“, in der Moschee gesagt oder auf einem Gebetstepp­ich, ist okay. Als Einleitung zu einem Terroransc­hlag allerdings ist „Allahu akbar“ein Missbrauch der Religion, auch ein Terrorakt gegen den Islam.

Wie froh sind Sie, dass Stra

Mein Motto ist: Jeden Tag etwas dazulernen. Es ist gut für Körper und Geist, und es verlangsam­t die Senilität, die bei mir auch schon anklopft.

Witze dürfen niemanden beleidigen. Höchstens Nazis und Terroriste­n, da darf man ein bisschen schärfer sein. Und bei Donald Trump.

che und die FPÖ nicht mehr an der Macht sind?

Ich nehme seinen Namen nicht in den Mund, und was er im Nachhinein gesagt hat, dass er sich nicht wiedererke­nnt in dem Video, dass man ihm Drogen gegeben hat, das ist peinlich. Zweimal in meinem Leben habe ich diesem Politiker, wie gesagt wird, Hochachtun­g gezollt! Einmal als er bei diesem peinlichen Ball gegen Antisemiti­smus geredet hat, da wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Und zum zweiten Mal, als er zurückgetr­eten ist. Aber dann hat er seinem früheren Parteiführ­er den Spruch „Ich bin weg, ich bin wieder da“abgekupfer­t. Ich war nie auf Ibiza, aber ich danke Gott, dass es diese Insel gibt.

Herr Oberrabbin­er, wir müssen jetzt ein persönlich­es Thema ansprechen, Ihre Scheidung.

Müssen wir nicht. Ich streiche es sowieso raus. Warum?

Weil meine Frau noch immer einen großen Platz in meinem Herzen hat. Sie ist die beste Mutter meiner Kinder und war eine gute Ehefrau, weil sie mich drei Jahrzehnte geliebt und betreut hat. Sie lebt jetzt in Jerusalem, wo sie mich kennengele­rnt hat und immer leben wollte und wo auch drei unserer Töchter leben.

Waren Sie ein guter Ehemann?

Das müsste man sie fragen. Manchmal. Sagen wir so: Ich war für sehr orthodoxe Menschen in Wien zu locker. Und da inkludiere ich auch meine Frau. Und gleichzeit­ig war ich für die Liberalen zu orthodox. Also war ich am richtigen Mittelweg.

Wie haben Sie Corona erlebt?

Wir haben viel durch Corona gelernt. Wir wollen nicht zurück, dahin, wo wir vorher waren. Wir wollen nachher besser sein!

Hatten Sie Angst, sich anzustecke­n?

Ich hatte einmal Kopfund Halsschmer­zen und ein bisschen Fieber, da habe ich die Panik bekommen und die Nummer 1450 gewählt. Und die waren sofort da und haben mir unangenehm­e Stäbchen in die Nase und in den Rachen gesteckt, und dann ergab der Test Gott sei Dank, dass alles okay ist. Schon am nächsten Tag habe ich mich wieder gut gefühlt.

Wann haben Sie zuletzt Ihre sechs Kinder und 30 Enkel gesehen?

Ich hatte eigentlich vor, sie alle zu sponsern, damit sie zu meinem 70er nach Wien kommen, aber wegen Corona haben wir das dann doch nicht gemacht, und so hab ich mir viel Geld gespart. Bei der Hochzeit meines jüngsten Sohnes waren wir das letzte Mal alle zusammen. Ich fürchte, das nächste Mal kommen alle zu meinem Begräbnis. Aber das ist eh erst in fünfzig Jahren, wenn ich 120 bin.

Wünschen Sie sich noch mehr Enkelkinde­r?

Ich habe 30. Aber mein Traum wäre sechs mal sechs, also 36. Wenn ein Paar nur fünf schafft, dann muss halt ein anderes eben sieben machen! Aber das können sie natürlich selbst entscheide­n . . .

Meine Frau hat noch immer einen großen Platz in meinem Herzen. Über unsere Scheidung müssen wir überhaupt nicht sprechen. Ich streiche es sowieso raus.

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Der Rabbi beim Interview mit Conny Bischofber­ger und in seiner Bibliothek: „Wenn das Interview ohne mein Okay erscheint, dann wanderst du in den Knast!“
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