Sorge, weil viele zu sorglos sind
Fehlende Schutzmaßnahmen, gelockerte Maskenpflicht: Infektionen steigen wieder merklich und steigern die Sorge vor 2. Welle
Es ist wirklich nicht zu viel verlangt: Abstandsregeln einhalten, auch im Freien, Händehygiene, Masken tragen, wo sie vorgeschrieben sind – es sollte so einfach sein. Umweltmediziner und Hygieniker Hans-Peter Hutter von der MedUni Wien kann den Wunsch nach Sommervergnügen und Spaß mit Freunden gut nachvollziehen. Umso mehr appelliert er an die Bevölkerung, die neugewonnene Freiheit nicht überzustrapazieren: „Je öfter man die Maßnahmen umsetzt, umso mehr gewöhnt man sich daran. Das muss automatisiert werden. Wir schauen ja auch nach links und rechts, bevor wir die Straße überqueren, und hinterfragen nicht ständig die Sinnhaftigkeit . . .“
Denn die Hinweise auf eine zweite Welle mehren sich. Das vom Complexity Science Hub (CSH) Vienna entwickelte Ampelsystem zeigt seit einigen Tagen wieder Bezirke, die von „grün“ auf „gelb“umgesprungen sind. Das passiert dann, wenn sich die Anzahl positiv getesteter Fälle pro 10.000 Einwohner im Vergleich der vergangenen 14 Tage merklich auf über eins erhöht hat. Dies ist etwa im Raum Linz und St. Pölten der Fall. Wien hat bis jetzt die Stufe „grün“noch gar nie erreicht.
In Kroatien zeichnet sich „zweiter Hügel“ab
Der Komplexitätsforscher Stefan Thurner, Leiter des CSH, beobachtet auch die Lage in den Urlaubsländern mit Sorge. So zeichnet sich in Kroatien ein massiver „zweiter Hügel“ab, in Tschechien, Polen, Slowenien, der Slowakei „fängt es
gerade an“. Der Wissenschafter rechnet mit zahlreichen europäischen Ländern, die in nächster Zeit trotz ursprünglich guter Ausgangslage nachziehen werden. Dazu trägt auch die Reisetätigkeit bei, von Normalität kann keine Rede sein.
Hans-Peter Hutter hält es für einen Fehler, dass die Maskenpflicht in Supermärkten gefallen ist: „Damit könnte man effizient Risikogruppen schützen und eine Verbreitung eindämmen – auch in der eigenen Familie. Sorglosigkeit ist absolut fehl am Platz! Die Bedrohung durch SARS-CoV-2 besteht, auch wenn das Virus unsichtbar bleibt.“
Erwachsene sollten als Vorbild für die Jugend dienen. Hutter: „Keiner will, dass wir wieder zurückrudern müssen. Wenn die Verantwortungslosigkeit weiter um sich greift, werden baldige Einschränkungen nicht zu verhindern
sein.“
Einen Appell äußert auch die Virologin Monika Redlberger-Fritz von der MedUni Wien in der „ZIB 2“: Aktuell sei die Bevölkerung aus virologischer Sicht „zu sorglos“, womit man dem Coronavirus die Chance zur Ausbreitung gebe. Von einer zweiten Welle würde sie derzeit trotz gestiegener Infektionszahlen aber dennoch noch nicht sprechen.
Würde die Zahl der täglichen Neuerkrankungen aber ansteigen, wäre es „Zeit zu handeln“.