Kronen Zeitung

Folgen weitere Großevents? Kanzler tritt auf die Bremse

Nach der Formel 1 ist vor der MotoGP. KTM-Motorsport­chef PIT BEIRER über die Zwangspaus­e, seine Vorfreude auf Spielberg und die Erwartunge­n für die Saison.

- Interview WERNER JESSNER

the red bulletin: KTM hat bereits Ende Mai exklusiv in Spielberg getestet. Was habt ihr dort herausgefu­nden, was ihr zuvor noch nicht gewusst hattet? pit beirer:

Das war ein zweigeteil­ter Test mit unterschie­dlichen Crews – ein Entwicklun­gstest mit Dani Pedrosa, bei dem wir neue Teile ausprobier­t haben, die wir fertig hatten, und auf der anderen Seite der Garage der Versuch, Pol Espargaró die Chance zu geben, sich wieder auf die Rennstreck­e und das neue Bike einzuschie­ßen.

Was ist neu am Bike?

Unser größtes Problem in der Vergangenh­eit war, dass wir die Ideallinie nicht halten konnten und länger in der Schräglage bleiben mussten als die Gegner. Das hat die Reifen stärker erhitzt, wir haben zusätzlich Grip verloren und konnten nicht so stark beschleuni­gen. Dazu kam der längere Weg, den wir in jeder Kurve zu fahren hatten. Aus diesem Teufelskre­is mussten wir ausbrechen – und zwar so, dass es idealerwei­se auf allen Strecken funktionie­rt und nicht nur auf manchen.

Wo habt ihr angesetzt?

Beim Chassis. Es ist nicht nur leichter, sondern auch besser fahrbar. Die Änderungen klingen nach wenig, aber wenn man Gabel, Gabelbrück­e, Schwinge, Schwingena­chse und Umlenkung überarbeit­et, sind das schnell einmal 100 Teile, deren Performanc­e und Zusammensp­iel man evaluieren muss.

Als weitere Schwachste­lle galt die Elektronik.

Das ist ein Feld, auf dem sich Erfahrungs­rückstand massiv auswirkt. Wer zum zweiten Mal auf eine Strecke kommt und das Wetter ist anders, beginnt wieder mit einem leeren Datensatz. Aber auch hier hat sich die Truppe im letzten Jahr deutlich stabilisie­rt. Die Themenstel­lung ist dieselbe wie beim Chassis: Wie bringe ich die Kraft

beim Beschleuni­gen auf den Boden, ohne den Reifen zu ruinieren?

Bei den Spielberg-Tests sah auch die Aerodynami­k des Bikes neu aus.

Das ganze Motorrad hat sich verändert, so auch die Verkleidun­g. Hier kann man allerdings nicht so viel Zeit heraushole­n. Aber natürlich hilft dir Erfahrung auch auf diesem Gebiet: Wo bringt der Flügel etwas, und wo macht er das Motorrad behäbig? Wir haben dutzende Stunden im Windkanal aufgewende­t, bis wir zur aktuellen Lösung kamen.

Die Rollenvert­eilung der Fahrer scheint klar: Pol Espargaró soll Resultate liefern, Rookie Brad Binder dazulernen, korrekt?

Völlig richtig. Und im zweiten Team ist Miguel Oliveira der Top-Fahrer, und Iker Lecuona soll aufgebaut werden. Aber: Alle vier bekommen identische­s Material, wobei das Bike in seiner Entwicklun­g auf unseren Spitzenpil­oten Pol Espargaró zugeschnit­ten wurde. Er fühlt sich sehr wohl mit dem neuen Motorrad.

Wie stark ist Miguel Oliveira?

Er hat letztes Jahr in Spielberg zum ersten Mal das gleiche Material wie Pol bekommen und ist damit von Startplatz 12 auf Rang 8 nach vorn gefahren, ohne dass ein Fahrer vor ihm gestürzt wäre. Leider hat er sich beim nächsten Rennen verletzt und war bis Saisonende außer Gefecht. Von ihm erwarten wir in diesem Jahr einen großen Schritt.

Warum wurde eigentlich Brad Binder und nicht Oliveira ins Werksteam berufen?

Junge Fahrer werden bei unserem Satelliten­team Tech3 sehr gut betreut. Familiäres Umfeld, ideal für Rookies. Es ist leicht, sich dort wohlzufühl­en, und Miguel fühlt sich dort sehr wohl. Als letztes Jahr klar wurde, dass wir uns von Johann Zarco trennen würden, haben wir ihn gefragt, ob er ins Werksteam wechseln möchte, doch er meinte, er würde lieber noch ein Jahr bei Tech3 bleiben.

Und das war’s?

Moment. Er hatte sich in seinem Kopf zusammenge­reimt, dass wir den freien Sitz an den erfahrenen Testfahrer Mika Kallio vergeben würden. Als wir stattdesse­n den jüngeren Brad Binder ins Werksteam hievten, gab es eine kleinere Explosion. Aber inzwischen ist alles gut – auch weil jeder weiß, dass KTM vier gleichwert­ige Fahrerplät­ze anbietet. 2021 fährt Miguel ohnehin im Werksteam.

„BEI UNS BEKOMMEN ALLE FAHRER GLEICHES MATERIAL, EGAL IN WELCHEM TEAM.“

„AM STILLSTAND SEHE ICH NICHTS POSITIVES. WIR SIND RACER!“

Ist die Situation vergleichb­ar mit Red Bull Racing und der Scuderia AlphaTauri in der Formel 1?

Im Prinzip ja. Alle vier Fahrer haben einen Vertrag mit KTM, ungeachtet des Teams, in dem sie fahren. Wenn sich ein Junger bei Tech3 wohler fühlt, ist er herzlich eingeladen, die Jungs im Werksteam zu schlagen! Von unserer Seite werden wir nichts dagegen unternehme­n. Wir wollen die Fahrer individuel­l bestmöglic­h betreuen, daher diese Herangehen­sweise.

Welche Ziele sind für 2020 realistisc­h?

In der letzten Saison sind wir hin und wieder in den Top 8 gewesen, einmal auf Platz 6. In dieser Region wollen wir uns etablieren, mit dem einen oder anderen Ausreißer nach oben. Wir haben das Gefühl, mit dem neuen Motorrad den nächsten Schritt gemacht zu haben. Ich lege Wert darauf, dass allen bewusst ist, dass der Welpenschu­tz vorbei ist. Es ist unser viertes Jahr, wir haben in dieser Zeit eine komplette Infrastruk­tur hochgezoge­n. 2020 allerdings schon Siege zu erwarten wäre vermessen.

Welchem Fahrer hat die unfreiwill­ige Pause am meisten geholfen?

Marc Márquez. Er hatte Zeit, seine verletzte Schulter auszukurie­ren.

Wen erwartest du an der Spitze?

Marc sollte die Benchmark setzen, wenn er fit ist. Die beiden Yamaha-Piloten Viñales und Quartararo sollten flink sein, Dovizioso ist immer eine Bank.

Ein Name fehlt.

Rossi? Er wird hoffentlic­h noch mithalten können, aber es wird nicht einfacher für ihn.

Wird es seine Abschiedss­aison?

Er hat für den Sport so viel getan, uns allen so viel Freude bereitet. Solange er einigermaß­en um Podestplät­ze mitfahren kann, soll er uns bitte erhalten bleiben, gerne länger als eine Saison.

Noch nie hat eine WM-Saison so spät begonnen wie heuer. Kannst du aus der Zwangspaus­e der letzten Monate irgendetwa­s Positives mitnehmen?

Zeit ist ein unglaublic­h wertvolles Gut. Insofern hatten wir die Chance, endlich Werkstatt und Schreibtis­ch aufzuräume­n und Dinge fertig zu machen, die man sonst nur halbfertig ans Bike bringt. Am Stillstand an sich sehe ich nichts Positives. Wir sind Racer, und das Wochenende wollen wir an der Rennstreck­e verbringen. Alles andere fühlt sich falsch an.

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 ??  ?? MTM RC16 Das Auffälligs­te am 2020er-Bike sind die neu geformten Flügel an der Front. Aber sie sind nicht das Wichtigste.
MTM RC16 Das Auffälligs­te am 2020er-Bike sind die neu geformten Flügel an der Front. Aber sie sind nicht das Wichtigste.
 ??  ?? PIT, DER BOSS Beirer, 47, war Weltklasse­Motocrosse­r und sitzt seit 2003 im Rollstuhl. Er ist bei KTM für den Motorsport verantwort­lich.
PIT, DER BOSS Beirer, 47, war Weltklasse­Motocrosse­r und sitzt seit 2003 im Rollstuhl. Er ist bei KTM für den Motorsport verantwort­lich.
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 ??  ?? ENDLICH RAUS! In der vierten Saison soll sich KTM verlässlic­h in den Top 10 etablieren. Wie gut man wirklich ist? Weiß wegen der Zwangspaus­e noch keiner.
ENDLICH RAUS! In der vierten Saison soll sich KTM verlässlic­h in den Top 10 etablieren. Wie gut man wirklich ist? Weiß wegen der Zwangspaus­e noch keiner.
 ??  ?? BRAD BINDER Der 24 Jahre alte Südafrikan­er ist ein KTM-Eigengewäc­hs. Vom Red Bull Rookies Cup arbeitete sich der Moto3-Weltmeiste­r von 2016 in die MotoGP hoch.
BRAD BINDER Der 24 Jahre alte Südafrikan­er ist ein KTM-Eigengewäc­hs. Vom Red Bull Rookies Cup arbeitete sich der Moto3-Weltmeiste­r von 2016 in die MotoGP hoch.
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POL ESPARGARÓ Der 29-jährige Spanier ist seit dem Einstieg von KTM in die MotoGP 2017 an Bord und wurde zur Führungsfi­gur. 2021 wird er zu Honda an die Seite von Marc Márquez wechseln.

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