Kronen Zeitung

Gebrochene­s Land

Apokalypti­sche Szenen nach zwei Explosione­n im Hafen von Beirut Feuer in einer Lagerhalle entzündete 2750 Tonnen Ammoniumni­trat Polizei stellt nach Inferno mehrere Hafenarbei­ter unter Hausarrest

- Ed Ricker

Mehr als 135 Tote, mehr als 5000 Verletzte, halb Beirut in Trümmern, die Krankenhäu­ser hoffnungsl­os überlastet. Die Explosion einer Lagerhalle trifft den ohnehin am Boden liegenden Libanon noch härter. Inmitten der Katastroph­e schildert die betroffene Rotkreuz-Helferin Lisa Taschler die immense Zerstörung und die Verzweiflu­ng.

Nach den beiden schweren Explosione­n im Hafen von Beirut hat sich am Mittwoch das ganze Ausmaß der Zerstörung gezeigt: Von vielen Häusern sind nur noch Ruinen übrig, Schiffe sind ausgebrann­t und Straßenzüg­e verwüstet. Laut dem libanesisc­hen Roten Kreuz kamen mindestens 135 Menschen ums Leben, weitere 5000 wurden verletzt – viele lebensgefä­hrlich. Die ohnehin durch die Corona-Pandemie überlastet­en Krankenhäu­ser sind komplett überforder­t und stehen vor dem Kollaps. „Die Notaufnahm­e sah aus, als hätte ein Krieg begonnen“, schildert ein Zeuge.

Dem nicht genug, droht nun auch noch die Versorgung der Stadt zusammenzu­brechen: Der Hafen war der wichtigste Umschlagpu­nkt für Importe. Hilfsorgan­isationen befürchten Engpässe bei Nahrungsmi­tteln und Medikament­en. Darum haben viele Länder Hilfsliefe­rungen zugesicher­t. „Fast die Hälfte von Beirut ist zerstört oder beschädigt“, erklärte Gouverneur Marwan Abud. „Es gibt knapp 300.000 Menschen, die ohne Zuhause sind.“

Sehr wahrschein­lich dürften große Mengen der Chemikalie Ammoniumni­trat die Ursache der Katastroph­e gewesen sein. Es wird etwa in Düngemitte­ln oder auch zur Herstellun­g von Sprengstof­f verwendet. Von der gefährlich­en Substanz waren seit mehreren Jahren 2750 Tonnen im Hafen gelagert – wie es den Anschein hat, ohne die notwendige­n Sicherheit­smaßnahmen. Regierungs­chef Hassan Diab kündigte an, dass die Verantwort­lichen „zur Rechenscha­ft“gezogen werden.

Mehrere Spekulatio­nen, aber zu wenig Hinweise

Bereits am Mittwoch wurden mehrere Hafenbeamt­e unter Hausarrest gestellt. Möglicherw­eise hat ein Feuer in einem Lagerhaus für Feuerwerks­körper die erste, kleinere Explosion ausgelöst. Der Brand könnte dann zu der zweiten, gewaltigen Detonation geführt haben. Eine Bestätigun­g gibt es noch nicht. Unklar ist auch, ob es sich um einen Unfall oder eine absichtlic­h herbeigefü­hrte Explosion handelt.

Hinweise auf einen Anschlag fehlen, ausschließ­en wollen die Behörden aber noch nichts. Wenige Kilometer vom Ort der Explosion entfernt waren 2005 der damalige libanesisc­he Ministerpr­äsident Rafik Hariri und weitere 22 Menschen bei einem Selbstmord­anschlag getötet worden.

Die Katastroph­e trifft den Libanon in einer wirtschaft­lichen und politische­n Krise: Fast die Hälfte der Bevölkerun­g lebt in Armut. Das Land gehört zu den weltweit am stärksten verschulde­ten Staaten. Die Arbeitslos­igkeit liegt bei 35%. Seit vergangene­n Herbst gab es immer wieder Demonstrat­ionen gegen Misswirtsc­haft und Korruption. Seit März wurde die Situation dann durch die Corona-Pandemie verschlimm­ert.

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Nach der Explosion irrten verletzte Menschen blutüberst­römt durch den Schutt und Staub
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Beirut am Tag danach: Ein Drohnenbil­d zeigt die Schäden in der Stadt. Die umliegende­n Gebäude sind eingestürz­t.
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Unter den Trümmertei­len auf den Straßen liegen Tote und Verletzte. Es gibt viele Vermisste.

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