Wenn die Traumbilder verlöschen
Salzburger Festspiele: „Lied von der Erde“, Kent Nagano, Beczała, Baumgartner
Ein Programm, das eine Brücke zwischen musikalischen Welten schlägt – zwischen Mahlers „Lied von der Erde“(1907/08) und Schönbergs Sechs kleinen Klavierstücken (op. 19; 1911): Kent Nagano, am Pult des RSO, verschränkte beide Kompositionen bei den Salzburger Festspielen in der Felsenreitschule ineinander.
Eine ungewöhnliche Erfahrung für die Zuhörer, wenn plötzlich nach dem „Trunkenen im Frühling“, der fünften Nummer im „Lied von Erde“, der Pianist Till Fellner Schönbergs Klavierstücke in – wie vom Komponisten geforderter – Ruhe und Balance in den Flügel streichelt.
Fellner vermittelt da, was Schönberg meint, dass man „zu seiner Musik Zeit haben muss“, um die zum Teil nur neun Takte langen Miniaturen in „äußerster Ausdrucksstärke“zu entfalten.
Schönberg wird da spürbar zum modernen Antipoden Gustav Mahlers – wenn zuletzt im „Abschied“, dem sechsten Lied, Kent Nagano das Orchester in spätromantischen Gesten und Farben und von Trennung, Leid und Verlöschen schwelgen lässt.
Was beide Werke verbindet, ist die Vorstellung des Adieu-Sagens, des Fortgehens, gänzlichen Ersterbens und Verlöschens. In einer Welt des Traums.
Das prägt die sehr langsame sechste Klavierminiatur Schönbergs wie bei Mahler Mong-Kao-Jens berührenden Gedichttext „Die Sonne scheidet hinter dem Gebirge“, die Szene, in der Mahler „die Welt einschlafen lässt“, um zuletzt den Alt von einem Traumbild voll Hoffnung singen zu lassen: „Allüberall und ewig blauen licht die Fernen! Ewig . . . ewig . . . “
Kent Nagano hat mit dem RSO Wien die Farbenpalette Mahlers penibel erarbeitet. Mit Schwung stürzt er sich in die erste „Szene“, wenn der polnische Tenor Piotr Beczała mit heldisch strahlendem Material sein Trinklied „Vom Jammer der Erde“und später seinen Traum „Von der Jugend“hinausschmettert. Eine Wiedergabe voll Kraft und Elan – wenn auch so manche feinen Farben, die kostbaren Valeurs jeder Mahler-Partitur, mitunter in den Hintergrund treten.
Tanja Ariane Baumgartner, fulminante Klytämnestra der Salzburger „Elektra“Produktion, singt die drei für Alt (oder Bariton) bestimmten Lieder vom „Einsamen im Herbst“, „Von der Schönheit“und – sehr einfühlsam, mit geradezu aufblühender Stimme – den „Abschied“.
Das Publikum fand die Werkgegenüberstellung interessant und jubelte.