Kronen Zeitung

Falsche Hirten

- MICHAEL CHALUPKA michael.chalupka@evang.at

Der Zürcher Reformator Huldrych Zwingli, der sowohl seine Kirche als auch die Stadt Zürich zu Beginn des 16. Jahrhunder­ts erneuerte, hat sich selbst etwas ins Stammbuch geschriebe­n. Er wollte sich selbst und andere daran erinnern, um wen es eigentlich geht im Evangelium, in der Kirche und in der Politik. Er hat den Vers: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!“auf das Titelblatt aller seiner Schriften drucken lassen, als Leitmotiv stete Erinnerung, dass nicht vergessen werden soll, wer zu Jesus gerufen wird und wem wir alle an die Seite gestellt werden.

So sieht er darin das Unterschei­dungsmerkm­al für die richtige Ausübung des Pfarramts. „Die sich der Armen nicht annehmen, sondern zulassen, dass sie ausgebeute­t und unterdrück­t werden, sind falsche Hirten.“Heutzutage haben das Hirtenamt, das Leitungsam­t oder, anders ausgedrück­t, die Verantwort­ung die Theologinn­en und Theologen nur mehr im Bereich ihrer Kirchen.

In Politik, Wissenscha­ft und Wirtschaft kommt dieses Amt längst anderen Frauen und Männern zu. Und das ist gut so. Doch als Unterschei­dungsmerkm­al taugt Zwinglis Ausspruch allemal: „Die sich der Armen nicht annehmen, sondern zulassen, dass sie ausgebeute­t und unterdrück­t werden, sind falsche Hirten.“Oder wie wir es heute ausdrücken würden. Der Wert einer Gesellscha­ft zeigt sich daran, wie sie mit den Schwächste­n unter ihren Mitglieder­n umgeht.

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