Kronen Zeitung

Ein See in der Steppe

Wir reisen durchs Land und stellen die schönsten Plätze Österreich­s vor. Heute den Zicksee, ganz im Osten des Nordburgen­lands.

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Ein Berufsfisc­her, also einer, der vom Fischen lebt, hier am Zicksee? Das verwundert. – Man muss dazu wissen: Der See ist heuer nur rund 50 Zentimeter tief. Fische hat er schon, die kommen mit weniger Wasser aus als Badegäste. Aber dass einer am Zicksee vom Fischen lebt?

„Doch, doch“, sagt Karl Roll und nimmt in seinem Weinkeller in St. Andrä einen Schluck vom guten aufgesprit­zten Traubensaf­t. „Mein Großvater war in den 60ern einer von zwei Berufsfisc­hern hier. Fix angestellt. Es gab reichlich Karpfen, Hechte, Zander, Aale. Der Pächter verdiente gut, verkaufte den Fisch vor Ort, aber auch bis nach Wien.“

Mithilfe der Donau den Wasserspie­gel heben?

Am Ende jeder Saison wurden die Schleusen geöffnet, der See abgefischt, wie es noch heute bei den teils künstliche­n Karpfentei­chen im Waldvierte­l üblich ist. Und der See füllte sich über den Winter wieder.

2,1 Millionen Kubikmeter Wasser durften zudem damals über Jahrzehnte jedes Jahr aus dem Grundwasse­r in den See gepumpt werden.

Großzügig ging man mit dem Wasser um, ersetzte beim Bauen den natürlich dichtenden Lehm im Boden mit durchlässi­gem Schotter und veränderte so das empfindlic­he Gleichgewi­cht.

Es wurde geurlaubt, gesurft, gefischt. Am Ufer florierte eine Badesee-Infrastruk­tur mit Campingpla­tz und netten Strandloka­len. Aber als dann durch eine Änderung im Wasserrech­t 2010 die zu pumpen erlaubte Grundwasse­rmenge von 2,1 Millionen auf 300.000 Kubikmeter gedrosselt wurde, zeigte sich das Dilemma.

Der Zicksee, als Steppensee quasi der kleine Bruder des Neusiedler Sees, begann auszutrock­nen. Und mit ihm schwindet sein großteils von Menschenha­nd geschaffen­er Fischbesta­nd.

Karl Roll, gebürtiger St. Andräer, Mitglied im Gemeindera­t und im Tourismusv­orstand, seufzt: „Jetzt gibt es Naturschüt­zer, die diese Rückkehr zum ursprüngli­chen Lacken-Zustand begrüßen, Naturschüt­zer, die sich Sorgen um die Tiere im See machen. Und natürlich die Einheimisc­hen, die hier gewohnt waren, vom Bade- und SurfTouris­mus zu leben, wo sonst nicht viel ist außer unserem guten Wein. Die hätten gern, dass der Zicksee wieder mehr Wasser zugeführt bekommt. Notfalls von der Donau her.“

Eine verfahrene Situation, die ein wenig ans Schneekano­nen-Problem

in den Bergen erinnert: Auch dort erhalten ja Eingriffe des Menschen mittels Kunstschne­e und Speicherte­ichen die gewohnte Tourismus-Einnahmequ­elle, auch wenn die Natur nicht mehr mitspielt. Langfristi­g müsste auch hier der Mensch umdenken. Aber wer akut betroffen ist, denkt selten langfristi­g.

Laute Frösche und der Witz der Burgenländ­er

Im Falle von St. Andrä am Zicksee, erklärt Karl, würde zum Beispiel ein Schwimmbad helfen. Auch wenn dafür derzeit das Geld fehlt. Dann bliebe der See mit stark schwankend­em Wasserpege­l

und den einzigarti­gen Salzlacken rundum für die seltenen Tiere und Pflanzen erhalten. Und Badegäste könnten dennoch an seinem Ufer in der Strandbar sitzen und Säbelschnä­bler beobachten.

Karl ist mit der besonderen Steppenlan­dschaft zwischen Neusiedler See und ungarische­r Grenze aufgewachs­en. Er liebt das flache Land, die Zugvögel, die lauten Frösche im Sommer und den gemütliche­n Witz der Burgenländ­er.

Vater Franz zog als Sohn eines Wagners vom nahen Andau der Liebe wegen nach St. Andrä, gründete dort eine Fassbinder­ei. Und Karl übernahm vor 27 Jahren als einziger Sohn das gut gehende Geschäft.

Eichenmöbe­l statt Weinfässer­n in der Krise

Inzwischen ist der zweifache Vater und frisch gebackene Großvater einer der Letzten, der in Österreich Eichenfäss­er für Spitzenwei­ne baut. Einen fixen Mitarbeite­r beschäftig­t er, produziert als zweites Standbein Edelstahl-Tanks und bewirtscha­ftet mit seiner Frau Martina drei Hektar Weingarten.

„Fad wird uns nicht“, sagt er lächelnd. So brachte ihn die schwierige Zeit des Corona-Lockdowns dazu, statt

Weinfässer­n hochwertig­e Gartenmöbe­l aus Eichenholz und Nirosta-Stahl zu bauen: „Mein klassische­s Geschäft litt darunter, dass wenig Wein in der Gastronomi­e getrunken wurde. Die Winzer hatten daher noch viele volle Fässer und konnten keine neuen brauchen.“– Eine von vielen solchen Kettenreak­tionen.

„Man muss die Dinge eben nehmen, wie sie kommen“, sagt Karl, „Kompromiss­e eingehen, auch einmal nachgeben. Das hat mich weit gebracht.“Lachend fügt er hinzu: Ich habe immerhin 17 Nachbarn hier um mich herum, und mit keinem bin ich bös!“

 ??  ?? Aus zwei Gründen ist diese Abendaufna­hme vom Zicksee etwas Besonderes: Zum einen musste Profi-Fotograf Christoph Bertos mit seiner Kameradroh­ne dafür die Genehmigun­g der Austrocont­rol in Schwechat und jene des Vogelschut­zes einholen. Zum anderen tritt der dominante Neusiedler See (hinten) im Seewinkel selten so in den Hintergrun­d.
Aus zwei Gründen ist diese Abendaufna­hme vom Zicksee etwas Besonderes: Zum einen musste Profi-Fotograf Christoph Bertos mit seiner Kameradroh­ne dafür die Genehmigun­g der Austrocont­rol in Schwechat und jene des Vogelschut­zes einholen. Zum anderen tritt der dominante Neusiedler See (hinten) im Seewinkel selten so in den Hintergrun­d.
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Interview mit dem Fassbinder an einem seiner selbst gebauten Tische.
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