Kronen Zeitung

Kein Lernen ohne soziale Kontakte

Österreich­s Kinder starten in ein außergewöh­nliches Schuljahr. Wie Lehrer, Eltern und Schüler mit der Situation am besten umgehen – krone.tv fragte bei dem Bildungsex­perten Andreas Salcher nach.

- Das gesamte Interview gibt es auf www.krone.at/videos

Abstand halten, Hände waschen und häufiges Lüften gehören wegen der Corona-Pandemie fix zum neuen Schuljahr dazu. Eine eigene Corona-Ampel an den Schulen dient als Leitfaden für richtiges Verhalten während der Krise. Trotz aller Vorkehrung­en herrscht viel Unsicherhe­it. Der renommiert­e Bildungsex­perte Andreas Salcher gibt psychologi­sche Tipps in angespannt­en Zeiten.

Eltern, Lehrer und Kinder blicken mit einer gewissen Nervosität dem Schuljahr entgegen. Wie kann man Ihnen die Angst nehmen?

Die Schüler freuen sich jetzt nicht auf Gegenständ­e oder Fächer. Sie freuen sich primär auf ihre Freunde und Lehrer. Das Schlimmste, was man machten könnte, ist, am ersten Schultag zu sagen: „Liebe Schüler, wir haben aufgehört auf Seite 128, wir machen jetzt weiter auf Seite 129.“Psychologi­sch gesehen sind die zwei großen Feinde des Lernens die Angst und die Langeweile. Was man positiv machen kann, ist, diese vielen Erfahrunge­n gemeinsam mit den Kindern zu reflektier­en. Auch müssen die Regeln, die jetzt auf uns zukommen, gemeinsam diskutiert und der Zweck dahinter erklärt werden. Das gelingt vor allem, wenn man den sozialen Zweck der Regeln betont.

Die Corona-Ampel gibt vor, was Schüler beachten müssen. Im Extremfall könnte am Freitag bekannt gegeben werden, dass mehr Restriktio­nen am Montag eintreten. Kann man diese Flexibilit­ät jüngeren Schülern abverlange­n?

Wir unterschät­zen, wie sehr Lernen ein sozialer Prozess ist. Selbst dort, wo Homeschool­ing sehr gut funktionie­rt hat, fehlte die Klassengem­einschaft.

Wir Menschen sind Gott sei Dank mit einer hohen sogenannte­n Resilienzf­ähigkeit geboren, also mit der Fähigkeit, aus Krisen heraus sogar zu wachsen, wenn wir dabei unterstütz­t werden, und das ist das Entscheide­nde. An kleinen Schulen wird das sicherlich einfacher sein als an Einrichtun­gen mit Tausenden Schülern.

In der Lockdown-Phase machten Kinder erstmals Erfahrunge­n mit dem so genannten Homeschool­ing. Blicken wir zurück – was haben wir daraus gelernt?

Wie bei allem in Österreich, gab es auch hier eine Kluft, nämlich zwischen den digitalen Leuchtturm-Schulen, die schnell umstellen konnten, und den klassi

schen Belehrungs-Schulen. Wir hatten schon vor Corona ein Schulsyste­m, das im Prinzip darauf basiert, dass Eltern am Nachmittag mit ihren Kindern lernen, und waren jetzt komplette Ersatzlehr­er. Das ist nicht der Sinn eines Schulsyste­ms.

In Österreich herrscht eine Debatte, wie digital Schule sein soll und darf – wie denken Sie darüber?

Ideal ist halb Tech, halb Touch, das heißt, funktionie­rende Technologi­e, moderne Pädagogik, aber kombiniert mit Hightouch. Auch dort, wo Homeschool­ing gut funktionie­rt hat, gab es das Problem der fehlenden Gemeinscha­ft. Wir unterschät­zen, wie sehr das Lernen ein sozialer Prozess ist. Der

Mitschüler, der in Mathematik besonders gut ist und in der Pause dem anderen etwas erklärt, was der Lehrer vielleicht nicht erklären könnte. Wenn das komplett wegfällt, fällt ein wichtiger Baustein des Lernens weg.

Wie sollen Lehrer mit Stoff umgehen, der im letzten Schuljahr nicht durchgebra­cht wurde: Nachholen oder „Mut zur Lücke“?

Grundferti­gkeiten wie Rechnen oder Sprache kann man nicht auslassen. Aber der Ansatz, dass man den gesamten Stoff der Menschheit in Kinder hineinstop­fen muss, ist völlig veraltet. Im Idealfall werden Erfahrunge­n aus der Corona-Zeit mit dem Unterricht verknüpft. Der Mathematik­lehrer kann beispielsw­eise erklären, was exponentie­lles Wachstum heißt. Der Deutschleh­rer könnte mit den Schülern „Die Pest“von Camus lesen. Und der Biologiele­hrer erklärt, wie ein Virus funktionie­rt. Das ist nicht der Mut zur Lücke, das ist die Schule des 21. Jahrhunder­ts.

Im Idealfall werden die Erfahrunge­n aus der Corona-Zeit mit dem Unterricht verknüpft. Im Biologieun­terricht könnten Schüler lernen, wie ein Virus aufgebaut ist.

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Der Schulstart birgt viel Ungewisses – hier sind Lehrer besonders gefordert
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Bildungsex­perte Andreas Salcher im Interview

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