Kronen Zeitung

„Das Gute geschieht meist unbemerkt“

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Die Amtsüberna­hme von Kardinal Christoph Schönborn als Erzbischof von Wien jährt sich morgen, Montag, zum 25. Mal. Aus diesem Anlass hat Claus Pándi mit dem Theologen über Flüchtling­e und Mitgefühl, über Wahrheit und Politik und über die Kunst des Sterbens geredet.

Das ist kein Interview. Es ist das Gedankenpr­otokoll eines Gesprächs mit dem Kardinal. Das Treffen hat am Donnerstag im Erzbischöf­lichen Palais in Wien stattgefun­den – am Tag nach dem ORF-Interview, in dem Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg zu den Ereignisse­n im griechisch­en Flüchtling­slager Moria sagte, man müsse „die Debatte deemotiona­lisieren“– also ohne Gefühl bewerten.

Wenige Stunden nach Schallenbe­rgs Fernsehauf­tritt war Schönborn bereits mit einem Bischofsko­llegen in telefonisc­hem Kontakt. Rasch war man einig, dass die Lage in Moria zum Handeln zwinge, man nach der Erklärung des Außenminis­ters nicht zur Tagesordnu­ng übergehen könne. Es könne nicht sein, dass Österreich keine Kinder aufnehmen kann. Stunden später die unmissvers­tändliche Erklärung der österreich­ischen Bischöfe, dass „jedes politische Kalkül über die Aufnahme und Verteilung von Flüchtling­en in Europa angesichts der aktuellen Notlage völlig verfehlt“wäre.

„Bilder des Elends, die zum Himmel schreien“

Schönborn sagt, es sei ihm einfach nicht verständli­ch, wie man angesichts der „Bilder des Elends, die zum Himmel schreien“ohne Emotion debattiere­n könne. Hier trage jeder Verantwort­ung, vor der sich keiner davonstehl­en dürfe.

Das Gespräch führt zum Umgang mit der Wahrheit in der Politik. Das Problem der Lüge und der Täuschung in der Politik kenne man seit Sokrates. Nun, heute, wirke vieles verrückt im wahrsten Sinn des Wortes: ver-rückt. Gut sei die Politik dann, wenn die Dinge beim richtigen Namen genannt werden. Der Kardinal erinnert an Aristotele­s in der Rechtsphil­osophie: Für die Gerechtigk­eit sei es zentral, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln.

Schönborn ist verwundert darüber, wie es Menschen überhaupt möglich sein kann, sich an dramatisch­e Ereignisse ohne Emotion anzunähern. Schon die Spiegelneu­ronen, Nervenzell­en im Gehirn, sollten es dem

Menschen unmöglich machen, Gefühle anderer Menschen ohne innere Anteilnahm­e wahrzunehm­en. Das habe unter anderem zur Folge, dass man selber zusammenzu­ckt, wenn sich jemand anderer mit einem Messer in den Finger schneidet. Ganz so, als ob man den Schmerz selbst verspüren würde. Der Kardinal erinnert an die Gedenkrede von André Heller vor zwei Jahren aus Anlass des 80. Jahrestage­s des 12. März 1938, in der Heller von der „Weltmutter­sprache Mitgefühl“gesprochen hat. Schönborn fügt hinzu: „Ich hoffe, wir verlernen sie nicht.“

Die Möglichkei­t zur Veränderun­g

Es bestehe für Menschen und Institutio­nen immer die Möglichkei­t zur Veränderun­g, sagt der Kardinal auch unter Verweis auf innerkirch­liche Prozesse. Beispielge­bend und zentral sei die Festschrei­bung eines klaren Nein zur Todesstraf­e im Katechismu­s.

Nach vielen kritischen Anmerkunge­n will der Kardinal die Regierung auch loben. Etwa die Initiative des Kanzlers gegen die Vereinsamu­ng. „Wenn ich am Abend durch Wien gehe, die

hinter den Fenstern sehe, denke ich daran, wie viele Menschen in ihren Single-Haushalten alleine sind.“Einsamkeit betreffe ältere Menschen, aber auch immer mehr junge.

Schönborn selbst ist dankbar für „die geschenkte Zeit“nach seinem Lungeninfa­rkt vor bald einem Jahr. Seinen Abschied vom Amt habe er eingereich­t, nun beschäftig­e sich auch mit der Ars moriendi, der Kunst des Sterbens – der Vorbereitu­ng auf den guten Tod.

„Das Böse macht viel Lärm“

Bis dahin kann es allerdings noch lange dauern – Schönborns Mutter hat vor Kurzem ihren 100. Geburtstag gefeiert. Der Kardinal selbst wirkt nach einer PhaLichter se der Ruhe hoch vital. „Ich habe fast ein schlechtes Gewissen, weil es mir so gut geht“, sagt Schönborn.

Nachtrag: Die Notizen zu dem Gespräch mit dem Kardinal waren am Ende doch eine Nuance zu düster geraten. Der per WhatsApp nachgereic­hten Bitte um eine Botschaft der Zuversicht kam Schönborn, der sein Mobiltelef­on immer daer bei hat, prompt nach: „Ich glaube fest daran, dass das Gute immer stärker sein wird als das Böse. Ich glaube fest daran, dass es auch in der heutigen Welt unglaublic­h viel Gutes gibt. Das Böse macht viel Lärm. Das Gute geschieht meist unbemerkt. Ich glaube, dass das Menschenhe­rz zu viel Bösem fähig ist, aber dass die Güte größer ist.“

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Kardinal Christoph Schönborn im Jahr 1998 bei dem von ihm sehr verehrten Papst Johannes Paul II. im Vatikan.
„Salzburg Krone“-Chefredakt­eur Claus Pándi bei Kardinal Schönborn Kardinal Christoph Schönborn im Jahr 1998 bei dem von ihm sehr verehrten Papst Johannes Paul II. im Vatikan.
 ??  ?? Kardinal Christoph Schönborn (75) fühlt sich nach einem überstande­nen Lungeninfa­rkt wieder „überrasche­nd gesund“
Kardinal Christoph Schönborn (75) fühlt sich nach einem überstande­nen Lungeninfa­rkt wieder „überrasche­nd gesund“
 ??  ?? Papst Franziskus und Kardinal Schönborn 2013, verbunden im Streben nach sanfter Veränderun­g.
Papst Franziskus und Kardinal Schönborn 2013, verbunden im Streben nach sanfter Veränderun­g.
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Schönborn galt auch als möglicher Nachfolger von Papst Benedikt, den er öfter in Rom besucht hat.

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