Kronen Zeitung

Marsch der Versöhnung

Vertrieben wurden rund 27.000 deutschspr­achige Altösterre­icher am 31. Mai 1945 aus Brünn/Brno. 75 Jahre danach luden junge Tschechen als Zeichen der Völkervers­tändigung die Vertrieben­en zu einer Gedenkfeie­r in die Stadt ein. Die „Krone“war mit dabei.

- Patrick Huber

Jahrhunder­telang war die südmährisc­he Stadt Brünn (tschechisc­h Brno) ein multiethni­sches Zentrum, in dem Deutsche, Tschechen und Juden zusammenle­bten. Um 1900 herum zählte die Bevölkerun­g rund 110.000 Menschen. Davon hatten zwei Drittel Deutsch und ein Drittel Tschechisc­h als Mutterspra­che.

Von 1526 bis zum Zusammenbr­uch der Habsburger­monarchie nach dem Ersten Weltkrieg 1918 gehörte die Stadt zu Österreich. Danach fiel sie an die neu gegründete Tschechosl­owakei. In den Folgejahre­n kam es zu steigenden Spannungen zwischen den Volksgrupp­en, die 1945 ihren Höhepunkt erreichten. Wähdas rend die meisten jungen Männer gefallen oder in Kriegsgefa­ngenschaft waren, wurden am 31. Mai 1945 etwa 27.000 deutschspr­achigen Bewohner der Stadt – fast ausschließ­lich Frauen und Kinder – in Richtung der rund 50 Kilometer entfernten österreich­ischen Grenze getrieben. An die 5200 kamen durch Strapazen und Krankheite­n ums Leben. Ein Teil wurde von den tschechisc­hen Begleitman­nschaften getötet. Viele Leichen liegen noch heute in unmarkiert­en Massengräb­ern zwischen Brünn und Drasenhofe­n. In der Tschechosl­owakei wurde dieses Thema totgeschwi­egen. Doch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 begannen vor allem junge Tschechen, sich für

Schicksal ihrer früheren Landsleute zu interessie­ren, und suchten Kontakt zu den Betroffene­n. 2015 dann der Meilenstei­n: Der Brünner Bürgermeis­ter Petr Vokřál entschuldi­gte sich offiziell für die Vertreibun­g.

Ein symbolisch­er Weg zurück in die alte Heimat

75 Jahre nach der Vertreibun­g der deutschspr­achigen Altösterre­icher aus Brünn fand am vergangene­n Wochenende eine Gedenkvera­nstaltung statt. Die Organisato­ren luden zu einer zweisprach­igen christlich­en Andacht am Massengrab in Pohrlitz, südlich von Brünn. „Dort liegen 890 Opfer begraben“, weiß Veranstalt­er Jaroslav Ostrčilík. Neben Tschechen waren auch viele

Der Versöhnung­smarsch ist für mich ein Zeichen der Freundscha­ft. Wir haben ihn sowohl für die Toten als auch für die Lebenden angetreten.

Markéta Vaňková, Bürgermeis­terin der Stadt Brünn/Brno

Aus den Ereignisse­n vom Frühjahr 1945 müssen wir die Lehre ziehen, dass Gewalt niemals eine Lösung für Probleme sein darf.

Miroslav Novák, Bürgermeis­ter der Stadt Pohrlitz/Pohořelice

Menschen aus Österreich und Deutschlan­d angereist – ehemalige Brünner ebenso wie deren Kinder, Enkel und Urenkel. „Es ist schön, dass ich so etwas noch erleben darf. Hass bringt nichts, die Menschen müssen sich versöhnen“, so ein Vertrieben­er zur „Krone“. Anschließe­nd machten sich die Teilnehmer zu Fuß auf den Weg nach Norden „Wir gingen symbolisch in die entgegenge­setzte Richtung des Todesmarsc­hes“, erläutert Ostrčilík. In Brünn klang die Veranstalt­ung mit einem Friedensko­nzert aus. „Wir wollen ein neues Kapitel in der Geschichte aufschlage­n“, bekräftigt­e dabei Brünns Bürgermeis­terin Markéta Vaňková.

 ??  ??
 ??  ?? Enteignet und aus ihrer Heimatstad­t vertrieben: Frauen und kleine Kinder in Brünn, Mai 1945.
Enteignet und aus ihrer Heimatstad­t vertrieben: Frauen und kleine Kinder in Brünn, Mai 1945.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Vom Massengrab in Pohrlitz (siehe Gedenktafe­l links) marschiert­en etwa 130 Teilnehmer aus Tschechien, Österreich und Deutschlan­d rund 30 Kilometer symbolisch zurück in die Stadt Brünn.
Vom Massengrab in Pohrlitz (siehe Gedenktafe­l links) marschiert­en etwa 130 Teilnehmer aus Tschechien, Österreich und Deutschlan­d rund 30 Kilometer symbolisch zurück in die Stadt Brünn.
 ??  ?? Am 1995 errichtete­n zweisprach­igen Gedenkstei­n im Augustiner­kloster Alt-Brünn wurden am Abend Kerzen im Gedenken an die Opfer des Todesmarsc­hes von 1945 angezündet.
Am 1995 errichtete­n zweisprach­igen Gedenkstei­n im Augustiner­kloster Alt-Brünn wurden am Abend Kerzen im Gedenken an die Opfer des Todesmarsc­hes von 1945 angezündet.

Newspapers in German

Newspapers from Austria