Buhrufe für eine Wiederbelebung
Staatsoper: „Entführung aus dem Serail“in Hans Neuenfels’ „historischer“Regie
Er ist seit Jugendtagen Buhkonzerte, Wirbel und Skandale gewöhnt: Hans Neuenfels erntete auch diesmal, bei der Premiere von Mozarts „Entführung aus dem Serail“in der Staatsoper, erboste Buhrufe der Galerie, aber auch lautstarken Beifall und Bravorufe des begeisterten Teils des Publikums.
Das Wiener Remake der alten Stuttgarter „Entführung“von 1998 im sparsam eleganten Bühnenbild Christian Schmidts mit reizvollen Kostümen Bettina Merz’ ist etwas zahm geworden. Umso überzogener wirkte das Buhgeschrei in der Staatsoper . . . wenn man die Inszenierung etwa an Neuenfels’ skandalöser Salzburger „Fledermaus“oder dem Wiener Meyerbeer-„Propheten“misst!
Neuenfels fasste Johann Gottlieb Stephanies Text neu. Und entwickelte als Leitidee eine Verdoppelung der Figuren – als wollte er Goethes Faust zitieren: „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust.“
Er bietet Oper & Schauspiel, in dem alle bis auf den Bassa von einer Schattenfigur begleitet werden. Fassung und Inszenierung zeigen dabei viele kluge Momente. Der Regisseur, der genau die Schwächen der Dramaturgie Johann Gottlieb Stephanies kennt, spart nicht mit Symbolik, schaut auf den gut ausblancierten Wechsel von heroischer Tragödie und komischem Singspiel und schafft heiter quirlige Situationen – etwa wenn zur Arie „Welche Wonne, welche Lust“Blonde und ihr Geliebter Pedrillo wie Papagena & Papageno im Hühnerfederkleid ein Tänzchen wagen. Da kann man lachen.
Empört reagierten viele auf das Finale, wenn Bassa Selim „seine“Konstanze
und ihre mitgefangenen Gefährten nicht bestraft, sondern ziehen lässt und danach an der Rampe Eduard Mörikes Gedicht „Denk es, o Seele“vorträgt.
Im Mittelpunkt des von Antonello Manacorda mit Tempo, Kraft und Attacke geführten Staatsopernorchesters und der Besetzung brilliert Lisette Oropesa: ein wunderbar geschmeidiger, warm leuchtender Sorpan mit hoher Koloraturensicherheit. Betörend schön ihre Arien „Traurigkeit ward mir zum Lose“und die „Marternarie“. Einfühlsam: ihr Double Emanuela von Frankenberg. Solide das übrige Ensemble: Regula Mühlemann (Blonde), Daniel Behle (ein biederer Belmonte) und Michael Laurenz (frech fröhlicher Pedrillo). Goran Jurić lässt einen schwarzen Bass mit kraftvoller Tiefe vermissen. Die Schauspieler überzeugen als Schattenfiguren.
Enttäuschend Christian Nickel als Bassa Selim, der die Idealfigur der Aufklärung – nach dem Vorbild Kaiser Josephs II. – darstellen soll.