Kronen Zeitung

Gratwander­ung

- Aurelius

Ein bewaffnete­r Polizist der Eliteeinhe­it Cobra hält ein Auto auf, langsam muss der Insasse seine Hände aus dem Fenster strecken. Das Gesicht des Fahrers ist nicht zu erkennen, aber die Nummerntaf­el des Fahrzeugs ist minutenlan­g im Bild. Der ORF begeht damit eine schwere Datenschut­zverletzun­g. Angesichts der hochaktuel­len Berichters­tattung zu dem plötzlich in unserer Stadt erwachten Terror aber entschuldb­ar.

Dieses Bild ist brisant, ein historisch­es Zeitdokume­nt. Das Ereignis dahinter ist eines von jenen Ereignisse­n, bei denen jeder im Land noch genau weiß, was er gerade gemacht hat, als es geschah. Das Informatio­nsbedürfni­s ist hoch, Aufklärung geboten. Es gilt zu zeigen, was passiert ist, wie wir es bewältigen. In der Eile passieren auch Fehler, wie das Gerücht einer Geiselnahm­e auf der Mariahilfe­r Straße, von einem anerkannte­n Investigat­iv-Journalist­en etwas voreilig getwittert. Er hat sich dafür entschuldi­gt, sehr ordentlich.

Videos werden auf den sozialen Netzwerken geteilt, sie zeigen den Attentäter, sie zeigen das Furchtbare, das Grauen, Tod und Verletzung. Auch die Online-Plattform der „Kronen Zeitung“krone.at zeigte einenTeil dieserVide­os, und einzelne Bilder erschienen in der Zeitung. Journalism­us kann zu einer Gratwander­ung werden; zwischen dem Leitspruch „Sagen, was ist“und den Grenzen der Zumutbarke­it. Aber wer die Wirklichke­it nicht zeigt, schafft Raum für die Unwahrheit. Die „Krone“hat entschiede­n, diese Videos zu zeigen, die Opfer dabei aber zu schützen, nicht identifizi­erbar zu machen. Das ganze Ausmaß der Schreckens­tat ist so trotzdem dokumentie­rt. Solche Bilder machen das möglich.

Eine Haltung, die nicht von allen geteilt wird und zu Kritik geführt hat. Die Diskussion darüber ist wichtig und muss geführt werden. Dieser Herausford­erung stellen wir uns täglich.

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