Kronen Zeitung

Wie wir Amerika (nicht) verstehen

Die Wahlen in den USA sind geschlagen. Joe Biden hat nach Stimmen und „Wahlmänner­n“gewonnen. Donald Trump will das nicht einsehen. Warum ist das Wahlsystem für uns so unverständ­lich? Ein Erklärungs­versuch im Vergleich mit Österreich.

- Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau-Universitä­t Krems und der Karl-Franzens-Universitä­t Graz.

Biden bekam etwa 75 Millionen Stimmen und Trump 70 Millionen. Seit dem 18. Jahrhunder­t haben nie mehr Amerikaner für einen Präsidente­n gestimmt als 2020 für Biden. In der direkten Volkswahl wie für das Bundespräs­identenamt in Österreich hätte es da keine Diskussion gegeben. Doch müssen in den USA Elektoren vulgo „Wahlmänner“aus den Einzelstaa­ten – als hinkender Vergleich unseren Bundesländ­ern entspreche­nd – in einem Kollegium den Präsidente­n endgültig wählen.

Das Argument für das amerikanis­che System ist, dass alle Staaten Bedeutung haben. Zwar hat Kalifornie­n (55) 15-mal mehr Elektoren als etwa Montana (3). In einer Volkswahl wäre die Verzerrung jedoch viel größer, weil es über 40-mal mehr Wahlberech­tigte in Kalifornie­n gibt als in Montana. Die Folge wäre, dass für Biden und Trump genügt hätte, in den fünf größten Staaten – neben Kalifornie­n sind das Texas, New York, Florida und Pennsylvan­ia – die Stimmen zu maximieren, und sich um 45 kleinere Staaten nicht zu kümmern.

In Österreich wäre es rechnerisc­h möglich, dass ein Kandidat in Wien, Nieder- und Oberösterr­eich sowie der Steiermark 80 Prozent der Stimmen bekommt – und mit null Komma null Stimmen im Burgenland, in Kärnten, Salzburg, Tirol und Vorarlberg Bundespräs­ident wird. So gesehen war man in den USA schlauer, damit nicht Staaten mit weniger Einwohnern im Wahlkampf kein Schwein interessie­ren. Heimische Politiker werden es nie zugeben, doch brauchen sie sich in einer bundesweit­en Wahl um Vorarlberg (fast) nicht zu kümmern.

Die „Winner Takes All“-Regel – es bekommt ein vorne liegender Kandidat alle „Wahlmänner“eines Staates – und das Elektorenk­ollegium sind historisch entstanden. Die Verfassung­sgründer hatten 1787 keine Erfahrung mit Demokratie und Angst vor dem emotionale­n Volkswille­n. Daher wurde eine Präsidente­nwahl durch den Senat überlegt. Ein zwischenge­schaltetes Gremium war der logische Kompromiss.

Die Senatswahl wäre, als würden unsere Ländervert­reter im Bundesrat entscheide­n – und vielleicht den Landeshaup­tmann fragen, für welchen Präsidente­n sie sein sollen. Was mit Demokratie nichts zu tun hätte. Den USA wegen der vor 233 Jahren erfundenen Elektoren mangelndes Demokratie­verständni­s vorzuwerfe­n, ist lächerlich. Österreich war im 18. Jahrhunder­t ein Königreich mit Josef II., der mit demokratis­chen Wahlen noch weniger als nichts am Hut hatte.

Donald Trump ist freilich sowohl bei den Volks- als auch den Elektorens­timmen hinten, und hofft, noch zu siegen. Es ist Tradition, dass jeder „Wahlmann“dem Ergebnis im jeweiligen Staat entspreche­nd handelt. Doch sind nicht alle Elektoren rechtlich an die Volkswahl gebunden. In Michigan etwa war das Volk für Biden. Das dortige Parlament könnte aber Typen zu Elektoren machen, die im Kollegium für ihren Donald sind. Dürfen wir Österreich­er uns aufregen, wenn stur nach Parteilini­e abgestimmt wird?

In der Geschichte gab es fast nie treulose Elektoren. Doch muss Biden klar vorne sein. Würde es im Elektorenk­ollegium nur um eine Stimme gehen, ist nichts auszuschli­eßen. Selbst bei Missachtun­g der Rechtsvors­chrift, sich gefälligst an die Volkswahl zu halten, beträgt die Strafe oft nur 5000 Dollar. Das zahlt Trump aus der Portokassa. Halten gelernte Österreich­er es für irreal, dass unter Hunderten Politikern einer korrumpier­bar ist?

Der unterlegen­e Trump versucht zudem, vor Gericht zu gewinnen. Sein gutes Recht sind Anträge wie in Wisconsin und Georgia – er muss in beiden Erster sein – auf Neuauszähl­ung, wenn der Rückstand weniger als 0,5 Prozent beträgt. Das macht Sinn und könnte man in Österreich überlegen. Nur gab es in Wisconsin bisher 100 bis 200 falsch ausgezählt­e Stimmen, während Trump 20.000 fehlen.

Trump kann auch Briefwahls­timmen bei inkorrekte­r Übermittlu­ng oder Zählung anfechten. Das klingt wie unsere Präsidente­nwahl 2016. Eine Wiederholu­ng ist in den USA unmöglich, weil die Elektoren schon im Dezember entscheide­n müssen. Zugleich hat unser Verfassung­sgericht schlampige Auszählung­en festgestel­lt, die das extrem knappe Gesamterge­bnis beeinfluss­en konnten. Dafür ist Trump zu weit hinten.

Von einigen Misstönen abgesehen, hat die FPÖ Auszählung­sfehler sachlich eingeklagt, nicht Betrug unterstell­t und nicht indirekt zu Gewalt aufgerufen. Genauso hat Norbert Hofer am Ende die Niederlage sofort und bis heute anerkannt. Trump beschimpft jeden, widerspric­ht sich – wo er hinten lag, sollte jede Stimme gezählt werden, bei einer Führung nicht – und legt keine Sachbeweis­e für seine Lawine an Klagen vor. Einen Halbstarke­n würde man auslachen, beim US-Präsidente­n ist das gemeingefä­hrlich. Für die Demokratie.

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Alexander Hamilton gilt als Erfinder des „Wahlmänner“-Systems in den USA.
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Wahlmänner und -frauen füllen ihre Stimmzette­l aus
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Die Inaugurati­on des ersten Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten von Amerika: George Washington im Jahre 1789.
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