„Die Krise wird uns stärken“
Psychiaterin Sigrun Rossmanith über die seelischen Folgen von Corona: „Wir alle sind nun dazu gezwungen, uns zu hinterfragen.“
Frau Dr. Rossmanith, Menschen verschiedenen Alters berichten über zum Teil völlig unterschiedliche Gefühle, die durch die Pandemie in ihnen entstanden sind. Wieso beurteilen manche die Situation als extrem dramatisch und andere wiederum nicht?
Das hat viel mit ihren Geschichten zu tun; mit der Art, wie sie davor gelebt haben. Jemand, der schon Schlimmes durchgemacht hat, wird den Jetzt-Zustand wahrscheinlich als weniger belastend empfinden – als jemand, dem es bis vor Kurzem vermeintlich sehr gut gegangen ist.
Vermeintlich?
Gar nicht so wenige von uns sind in einer Spaßgesellschaft aufgewachsen, waren bislang kaum mit ernsthaften Problemen konfrontiert; fanden es besonders wichtig, viel in Lokalen unterwegs zu sein und dort – oft nur oberflächliche – Gespräche zu führen. Diese Menschen sind jetzt plötzlich auf sich selbst zurückgeworfen und müssen sich, möglicherweise zum ersten Mal in ihrem Leben, mit sich selbst auseinandersetzen.
Was sollte daran so schlimm sein?
Auf sein tiefstes Inneres gestoßen zu werden, ist manchmal nicht besonders erquickend. Weil dann nabei türlich diese Fragen entstehen: Wer bin ich eigentlich wirklich? Traf ich in meinem Drang, ein aufregendes Dasein zu führen, eventuell falsche Entscheidungen? Habe ich bloß Bekannte – oder echte Freunde? Und freilich, der Antwortfindung können verstörende Wahrheiten zutage kommen.
Und dann?
Ein seelischer Kassensturz tut letztlich gut. Ich hoffe also, dass die Krise zu einem Umdenken führen wird. Und wir daraus gestärkt hervorgehen.
Trotz der vielen Ängste, von denen wir geplagt sind?
Natürlich ist es schwierig, mit Covid, mit diesem unsichtbaren Feind, fertig zu werden. Trifft mich das Virus oder nicht? Wird es mich oder einen Menschen, den ich liebe, töten? Diese Gedanken sind dauernd in unseren Köpfen. Zu unserem eigenen Schutz müssen wir jedoch versuchen, dass sie nicht völlig die Regie über uns übernehmen. Was ja bereits geschieht – und die Gesellschaft spaltet. Da sind die einen, die Corona in absurder Weise verleugnen – und die anderen, die deswegen in totale Panik verfallen. Was sich negativ auf die Ge
sundheit auswirkt. Denn allzu viel Stress schwächt das Immunsystem – und macht krank.
Und nicht auch die bedrückende Einsamkeit, mit der jetzt viele Menschen zu kämpfen haben?
So seltsam es klingen mag: Die Pandemie gibt uns – ein Stück weit – sogar die Möglichkeit, einander näher zu rücken. Wenn wir alle dazu bereit sind, nicht nur an uns selbst, sondern vor allem an die Schwachen zu denken. Und ihnen beizustehen, also zu helfen.
Ich verstehe nicht, was für manche so schlimm daran ist, für ein paar Wochen keine Lokale besuchen zu können. Denn der Sinn des Lebens sollte doch in anderen Dingen liegen.
Das Virus und die damit verbundene Angst führt zu negativen Gedanken. Zu unserem Schutz müssen wir danach trachten, dass sie nicht die Regie über uns übernehmen.
Die Pandemie gibt uns irgendwie sogar die Möglichkeit, einander näher zu rücken. Wenn wir dazu bereit sind, den Schwachen beizustehen – ihnen zu helfen.