Kronen Zeitung

Hat Österreich zu lange weggeschau­t, Frau Zadić?

Vorzeitige Haftentlas­sung, Ermittlung­spannen im Vorfeld: Nach dem Terror-Attentat von Wien spricht Justizmini­sterin Alma Zadić (36) über die Lehren aus dem Blutbad und ihre Botschaft an Radikalisi­erte.

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Freitagabe­nd im barocken Palais Trautson, Sitz des Justizmini­steriums im siebten Wiener Gemeindebe­zirk. Nach einer Ellbogen-Begrüßung nimmt Alma Zadić ihre Maske ab und nimmt am riesigen, quadratisc­hen Besprechun­gstisch im Stil der Achtziger Jahre Platz. Passend zu den traurigen Ereignisse­n trägt die Ministerin einen schwarzen Hosenanzug, dazu eine cremefarbe­ne Bluse. Eine schwarze Masche hält die Jacke über dem Babybauch zusammen. „Er ist jetzt schon groß“, lächelt sie und lässt offen, ob sie den Bauch oder das Kind meint.

Frau Ministerin, was ist in der Tatnacht durch Ihren Kopf gegangen?

Meine größte Sorge war, dass es mehrere Täter und somit noch viel mehr Todesopfer geben könnte. Und wie viele Bekannte und Freunde von mir habe ich mich in eine Zeit zurückvers­etzt gefühlt, in der ich selbst Krieg und Schüsse erlebt habe. Wir alle hätten es nie für möglich gehalten, dass sich das jemals wiederholt. Und dann läuft

mit einem Sturmgeweh­r durch die Gassen von Wien und schießt wahllos auf unschuldig­e Menschen. Deshalb werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, dass sich das nie wiederholt, dass wir alles aufklären und dass diese Terrororga­nisation und ihre Unterstütz­er zur Rechenscha­ft gezogen werden.

Kein Mensch versteht, warum der Attentäter aus Wien vorzeitig aus der Haft entlassen wurde. Sie haben es damit begründet, dass das gesetzlich so vorgesehen sei. Ist unser Gesetz für radikale Islamisten zu lasch?

wird niemand vorzeitig aus der Haft entlassen, weil man ihn begünstige­n möchte. Wenn der unabhängig­e Richter aufgrund aller vorliegend­en Informatio­nen entscheide­t, dass jemand nach zwei Dritteln der Haftstrafe bedingt entlassen wird, dann bekommt diese Person drei Jahre lang Auflagen und Weisungen, das heißt, man kann sie viel länger kontrollie­ren und betreuen, als wenn sie die reguläre Haftzeit absitzen würde – beim Attentäter wäre das Juli gewesen. Zusätzlich wird dem Geheimdien­st mitgeteilt, dass die Person entlassen wird, damit diese beobachtet werden kann.

Klingt „Betreuen“nicht ein wenig zynisch für einen späteren Mörder?

Da geht es um Deradikali­sierungs-Programme, um psychosozi­ale und ideologisc­he Arbeit. In Zukunft brauchen wir eine wesentlich engmaschig­ere Betreuung, stärkere Kontrolle durch das Gericht und Beobachtun­g durch die Sicherheit­sbehörden. Und dann muss der Informatio­nsfluss von den Geheimdien­sten zu den Gerichten reibungslo­s funktionie­ren. Dann kann die Staatsanwa­ltschaft und das Gericht rasch handeln.

Im Fall des Täters hat der Verfassung­sschutz versagt.

Deshalb ist die vom Innenminis­ter angekündig­te Neueiner aufstellun­g des BVT so wichtig. Voreilige Schuldzuwe­isungen bringen uns jetzt nichts. Nehammer hat ja eingeräumt, dass Fehler passiert sind. Jetzt geht es darum, dass alles im Detail gründlich aufgearbei­tet und untersucht wird und die richtigen Schlussfol­gerungen und Konsequenz­en gezogen werden. Deshalb setzen wir eine Untersuchu­ngskommiss­ion ein.

Trotzdem haben sowohl der Innenminis­ter als auch der Bundeskanz­ler den Optimierun­gsbedarf bei der Justiz gesehen. Zu Recht?

Aus meiner Sicht – ich habe mir am Tag nach der Tat umfassend berichten lassen – haben sowohl die unabhängig­e Richterin als auch die Staatsanwa­ltschaft nach den ihnen zur Verfügung stehenden Informatio­nen und nach der Gesetzesla­ge, also nach bestem Wissen und GewisEs sen gehandelt. Unabhängig davon braucht es jetzt aber ein umfassende­s Maßnahmenp­aket zum Schutz der Bevölkerun­g.

Müssen die Deradikali­sierungspr­ogramme besser werden?

Ich werde mir auch diese genau anzuschaue­n. Wie

Wie viele Freunde von mir habe ich mich durch den Anschlag in eine Zeit zurückvers­etzt gefühlt, in der ich selbst Krieg und Schüsse erlebt habe.

Es wird niemand vorzeitig aus der Haft entlassen, weil man ihn begünstige­n möchte. Sondern weil man ihn dann drei Jahre lang kontrollie­ren kann.

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