Von Leserr fur Leser
Der Schneemann, der nicht schmelzen wollte
Es stürmte und schneite wie häufig in den letzten Tagen. Es war eben ein bitterkalter Dezember dieses Jahr. Mit jedem Tag, mit jeder neuen Schneeflocke wuchs der Schneemann und wurde dicker. Der eisige Wind pfiff um seine lange Karottennase und riss ihm fast die Haube vom Kopf. Die dünnen Äste, die ihm die Kinder als Arme in die Seiten gesteckt hatten, knarzten, wenn der Sturm an ihnen rüttelte. Die Kinder tobten um ihn herum, bewarfen sich mit Schneebällen, und dekorierten fröhlich seinen weißen Körper mit Kohlestücken. Dem Schneemann gefiel sein Schneemann-Leben. Doch er wusste, dass es damit vorbei sein würde, sobald es wärmer wurde. Dann würde er schmelzen.
„Warum beschenkst du nur Menschen?“, fragte der Schneemann das Christkind unglücklich, als es am Heiligen Abend an ihm vorbeiflog. „Das Christkind starrte den Schneemann eine Weile nachdenklich an. Schließlich sagte es: „Gut, ich erfülle dir drei Wünsche. Die ersten beiden sofort, den dritten später.“Der Schneemann verzog seinen Mund aus Kohlestückchen zu einem breiten Grinsen und bedankte sich. Dann nannte er seinen ersten Wunsch: „Ich hätte gerne einen Schal, der zu meiner Haube passt.“Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da schmiegte sich ein weicher, kuscheliger Schal um seinen Hals. Und ich wünsche mir, niemals zu schmelzen“, fügte er hinzu. Das Christkind nickte. „Dieser Wunsch wird dir erfüllt. Nächstes Jahr zu Weihnachten besuche ich dich wieder. Einen dritten Wunsch hast du ja noch frei.“
Im neuen Jahr gewann die Sonne von Tag zu Tag an
Kraft. Der Frühling setzte ein und der Schnee auf den Dächern, den Bäumen und Straßen schmolz. Alle Schneemänner verschwanden, doch er – der Schneemann, der nicht schmelzen wollte – blieb unverändert. Am Anfang waren die Kinder begeistert. Der Schneemann, der immer noch auf der grünen Wiese stand, war eine Sensation! Doch je heißer es wurde, desto mehr ließ das Interesse der Kinder nach. Sie gingen lieber schwimmen, als sich um ihn zu kümmern. Der Schneemann schwitzte unter seiner warmen Haube und dem dicken Schal.
Der Herbst zog ins Land, dennoch ließen sich die Kinder nur selten blicken. Auch als es Winter wurde, bauten sie lieber neue Schneemänner, als sich mit dem alten zu beschäftigen. Einsam und traurig fühlte sich der Schneemann deshalb.
Am Heiligen Abend tauchte wie versprochen das Christkind auf. „Nun, Schneemann, wie ist es dir in diesem Jahr ergangen?“„Nicht sehr gut“, murmelte dieser unzufrieden. „Vielleicht kann ich dir helfen. Einen Wunsch hast du ja noch frei. Wie lautet er?“Der Schneemann wusste ganz genau, was er sich wünschte. Lange hatte er darüber nachgedacht. „Bitte, liebes Christkind, lass mich schmelzen.“
„So soll es sein“, sagte es, und augenblicklich zerfloss der Schneemann zu einer Pfütze. Das Letzte, was man von ihm hörte, war ein glückliches Seufzen. Schicken Sie Ihre Geschichten und Gedichte an: advent@kronenzeitung.at