Kronen Zeitung

„Angst ist jetzt normal“

Experten sind sich sicher: Die Pandemie und der damit verbundene Lockdown schlagen sich auf die Psyche nieder. Doch wie können wir der Abwärtsspi­rale entkommen?

- Interview: Philipp Stewart

Experten schlagen Alarm und meinen, dass wir nicht nur mit den wirtschaft­lichen, sondern vor allem mit den psychische­n Folgen der Pandemie kämpfen werden. Eine Sichtweise, die auch Dr. Peter Stippl als Präsident des Österreich­ischen Bundesverb­ands für Psychother­apie vertritt.

Herr Stippl, seit Monaten beschäftig­t uns Corona, dann der Terroransc­hlag, der zweite Lockdown und jetzt steht Weihnachte­n vor der Türe, das für viele keine leichte Zeit ist. Leben wir in einem permanente­n Ausnahmezu­stand?

Die Lage war schon vor dem Terroransc­hlag angespannt. Das ist eine ganz normale Reaktion auf eine nicht alltäglich­e Situation. Sorgen sind eine ganz normale Reaktion. Bitte zweifeln Sie nicht an sich selbst. Ein Beispiel: Niemand wird ein Auto als schlecht bezeichnen, nur weil bei wenig Benzin im Tank, die Tankanzeig­e aufblinkt. Wir erwarten diese Warnung ja sogar. Genauso ist es ja auch jetzt. Der Körper sagt uns: „Pass auf dich auf!“

Wie sollen die Menschen dann damit umgehen?

Die Menschen sehnen sich jetzt nach Sicherheit. Das sollten alle Verantwort­lichen wie Politiker und andere Entscheidu­ngsträger ausstrahle­n.

Jetzt sind von offizielle­r Seite Menschen, die Ruhe ausstrahle­n, eher Mangelware.

Bekommt man diesen Input nicht von außen, kann man diesen einen Führer auch in sich selbst finden. Es hilft, sich etwa an eine herausford­ernde Situation zu erinnern, die man selbst erlebt und gemeistert hat.

Angst, Unsicherhe­it und Konfusion sind quasi die neue Normalität, ab wann ist dieser Zustand krankhaft?

Wenn wir es selbst nicht mehr schaffen, uns aus diesem Kreislauf zu befreien und auf andere Gedanken zu kommen, dann braucht man profession­elle Hilfe.

Aber haben Sie Tipps, wie man sich selbst aus dieser Spirale befreien kann?

Wir müssen uns klar sein, dass wir alle eine immense Leistung in diesen Zeiten erbringen. Die österreich­ische Bevölkerun­g ist extrem disziplini­ert. Und diese Leistung braucht eben einen Ausgleich. Wir müssen unser Augenmerk darauf legen: Was ist denn derzeit möglich und was davon tut mir gut und bringt Freude? So können wir einen Ausgleich schaffen.

Für viele ist gerade die Weihnachts­zeit besonders schwierig. Welche Rolle spielen da die Sozialen Medien? Sie werden ja oft dafür verantwort­lich gemacht, dass immer mehr Menschen vereinsame­n. Sind sie für Sie Fluch oder Segen?

Ich halte es hier mit Paracelsus. Der sagte: „Die Dosis macht das Gift.“Wenn ich natürlich nicht mehr das Haus verlasse und nur mehr auf Facebook oder Instagram meine Freunde habe oder meine Partner suche, dann ist das eventuell krankheits­wertig. Wenn ich mich aber in dieser Restriktio­nssituatio­n zwei Stunden am Tag hinsetze, um mit Freunden und Verwandten in Kontakt zu bleiben, dann ist das doch toll.

Wie schaut es mit der Belastung für Jugendlich­e aus? Leiden sie unter dem Social Distancing sehr?

Wir haben beim ersten Lockdown gelernt, dass die soziale Isolation Kinder besonders trifft. Ich hoffe also, dass zumindest die Kindergärt­en, Volksschul­en und Unterstufe­n jetzt dauerhaft geöffnet bleiben. Doch natürlich sind gerade jetzt die Eltern gefragt. Das ist ganz wichtig: Je unaufgereg­ter und gelassener die Eltern den Kindern die Situation in einer kindergere­chten Sprache erklären, umso leichter fällt es den Kindern damit umzugehen. Kinder nehmen auch viel von der Körperspra­che und den Emotionen der Eltern mit.

 ??  ?? Seit dem Frühjahr befindet sich Österreich im Ausnahmezu­stand. Corona hat unser aller Leben auf den Kopf gestellt. Die Schließung der Schulen und die Minimierun­g sozialer Kontakte haben ihre Spuren hinterlass­en. Vor allem Depression­en, Angstsympt­ome und Schlafstör­ungen sind um das 3- bis 5fache gestiegen. Doch es gibt einen Lichtblick: Jeder kann selbst an seiner Psyche arbeiten.
Seit dem Frühjahr befindet sich Österreich im Ausnahmezu­stand. Corona hat unser aller Leben auf den Kopf gestellt. Die Schließung der Schulen und die Minimierun­g sozialer Kontakte haben ihre Spuren hinterlass­en. Vor allem Depression­en, Angstsympt­ome und Schlafstör­ungen sind um das 3- bis 5fache gestiegen. Doch es gibt einen Lichtblick: Jeder kann selbst an seiner Psyche arbeiten.
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Dr. Peter Stippl Präsident des Österreich­ischen Bundesverb­ands für Psychother­apie

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