„Angst ist jetzt normal“
Experten sind sich sicher: Die Pandemie und der damit verbundene Lockdown schlagen sich auf die Psyche nieder. Doch wie können wir der Abwärtsspirale entkommen?
Experten schlagen Alarm und meinen, dass wir nicht nur mit den wirtschaftlichen, sondern vor allem mit den psychischen Folgen der Pandemie kämpfen werden. Eine Sichtweise, die auch Dr. Peter Stippl als Präsident des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie vertritt.
Herr Stippl, seit Monaten beschäftigt uns Corona, dann der Terroranschlag, der zweite Lockdown und jetzt steht Weihnachten vor der Türe, das für viele keine leichte Zeit ist. Leben wir in einem permanenten Ausnahmezustand?
Die Lage war schon vor dem Terroranschlag angespannt. Das ist eine ganz normale Reaktion auf eine nicht alltägliche Situation. Sorgen sind eine ganz normale Reaktion. Bitte zweifeln Sie nicht an sich selbst. Ein Beispiel: Niemand wird ein Auto als schlecht bezeichnen, nur weil bei wenig Benzin im Tank, die Tankanzeige aufblinkt. Wir erwarten diese Warnung ja sogar. Genauso ist es ja auch jetzt. Der Körper sagt uns: „Pass auf dich auf!“
Wie sollen die Menschen dann damit umgehen?
Die Menschen sehnen sich jetzt nach Sicherheit. Das sollten alle Verantwortlichen wie Politiker und andere Entscheidungsträger ausstrahlen.
Jetzt sind von offizieller Seite Menschen, die Ruhe ausstrahlen, eher Mangelware.
Bekommt man diesen Input nicht von außen, kann man diesen einen Führer auch in sich selbst finden. Es hilft, sich etwa an eine herausfordernde Situation zu erinnern, die man selbst erlebt und gemeistert hat.
Angst, Unsicherheit und Konfusion sind quasi die neue Normalität, ab wann ist dieser Zustand krankhaft?
Wenn wir es selbst nicht mehr schaffen, uns aus diesem Kreislauf zu befreien und auf andere Gedanken zu kommen, dann braucht man professionelle Hilfe.
Aber haben Sie Tipps, wie man sich selbst aus dieser Spirale befreien kann?
Wir müssen uns klar sein, dass wir alle eine immense Leistung in diesen Zeiten erbringen. Die österreichische Bevölkerung ist extrem diszipliniert. Und diese Leistung braucht eben einen Ausgleich. Wir müssen unser Augenmerk darauf legen: Was ist denn derzeit möglich und was davon tut mir gut und bringt Freude? So können wir einen Ausgleich schaffen.
Für viele ist gerade die Weihnachtszeit besonders schwierig. Welche Rolle spielen da die Sozialen Medien? Sie werden ja oft dafür verantwortlich gemacht, dass immer mehr Menschen vereinsamen. Sind sie für Sie Fluch oder Segen?
Ich halte es hier mit Paracelsus. Der sagte: „Die Dosis macht das Gift.“Wenn ich natürlich nicht mehr das Haus verlasse und nur mehr auf Facebook oder Instagram meine Freunde habe oder meine Partner suche, dann ist das eventuell krankheitswertig. Wenn ich mich aber in dieser Restriktionssituation zwei Stunden am Tag hinsetze, um mit Freunden und Verwandten in Kontakt zu bleiben, dann ist das doch toll.
Wie schaut es mit der Belastung für Jugendliche aus? Leiden sie unter dem Social Distancing sehr?
Wir haben beim ersten Lockdown gelernt, dass die soziale Isolation Kinder besonders trifft. Ich hoffe also, dass zumindest die Kindergärten, Volksschulen und Unterstufen jetzt dauerhaft geöffnet bleiben. Doch natürlich sind gerade jetzt die Eltern gefragt. Das ist ganz wichtig: Je unaufgeregter und gelassener die Eltern den Kindern die Situation in einer kindergerechten Sprache erklären, umso leichter fällt es den Kindern damit umzugehen. Kinder nehmen auch viel von der Körpersprache und den Emotionen der Eltern mit.