Kronen Zeitung

„Das Äthiopien der TPLF war rassistisc­h“

Asfa-Wossen Asserate ist Großneffe des letzten äthiopisch­en Kaisers Haile Selassie und Mitglied des ältesten Kaiserhaus­es der Welt bis 1974. Der Politik-Analyst erklärt im „Krone“-Interview die Lage in Äthiopien.

- Clemens Zavarsky

Wie kam es zum aktuellen Konflikt in Äthiopien? Präsident Ahmed Abiy und der Chef der Volksbefre­iungsfront TPLF der Region Tigray, Debretsion Gebremicha­el, waren Weggefährt­en.

Abiy Ahmed – ein Oromo – ist gegen den Willen der Tigray Präsident geworden. Aber die TPLF hatte sich anfangs mit ihm arrangiert. Immerhin hat er oft und viel mit ihnen zusammenge­arbeitet und spricht ihre Sprache. Als er nach Tigray kam, wurde er mit überwältig­ender Freude empfangen. Dann fing er mit einem Reformplan an. Er hat politische Gefangene entlassen und bat opposition­elle Parteien zurückzuko­mmen. Wir waren auf dem Wege zu einer großartige­n Versöhnung. Für die TPLF bedeutete es Machtverlu­st, und der Boykott begann. Bis zum Massaker an äthiopisch­en Grenzsolda­ten in Tigray Anfang November. Stellen Sie sich vor: Die Kärntner Landespoli­zei würde die Grenzsolda­ten des Bundesheer­es massakrier­en. Abiy Ahmed musste also reagieren.

Das heißt, der Grund ist, dass Präsident Abiy Ahmed die Ethnisieru­ng aufbrechen wollte?

Ja, aber er wollte auch die nationale Souveränit­ät Äthiopiens beschützen und versuchte oft mit der TPLF zu verhandeln. Man darf nicht vergessen, dass Tigray immerhin das kulturelle Herz von Äthiopien ist. Hier liegt die Basis unserer Geschichte, unserer Zivilisati­on. Im dortigen Aksum wurde sowohl die erste christlich­e Kirche als auch die erste bekannte Moschee Afrikas gebaut.

Gläubige vermuten auch den letzten Ruheort der Bundeslade dort.

Genau. Das Blutvergie­ßen zwischen diesen beiden brüderlich­en Völkern bricht mir das Herz.

Experten vergleiche­n Äthiopien mit Ex-Jugoslawie­n oder Österreich-Ungarn vor deren Ende. Autoritäre Vergangenh­eit, ausgeprägt­er Ethnoföder­alismus, also Vielvölker­staat. Trifft dieser Vergleich zu?

Er hinkt ein bisschen. Das Grundübel ist die äthiopisch­e Verfassung von 1995, in der Äthiopien als einziges

Land weltweit zu einer ethnischen Föderation erklärt wurde. Davor gab es diese Regierungs­form nur in Südafrika während der Apartheid!

Ist in diesem System jede Ethnie politisch gleichbere­chtigt? Gibt es eine Art Sozialpart­nerschaft?

Nein, ganz im Gegenteil.

Ethnie steht für sich. Die Oromo, die Tigray, die Amharen, die Somali etc. Jeder ist gegen jeden. Es gibt keine administra­tiven Grenzen, sondern nur ethnische. Der TPLF-Staat war ein rassistisc­her. Wir sind das einzige Land Afrikas, wo im Personalau­sweis das Wort „Rasse“stand.

Die Grenzen Afrikas zogen europäisch­e Kolonialis­ten. Wie stark wirkt das nach?

Äthiopien war nie kolonisier­t. In Paris, London und Berlin zogen Beamte die Grenzen nach dem Motto: Gerade Linien sind schön. Es waren die Europäer, die das Konzept der Ethnie erst nach Afrika brachten. WaJede rum haben dann unsere Gründungsv­äter der Organisati­on der afrikanisc­hen Einheit 1963, die kolonialen Grenzen übernommen? Weil sie wussten, dass die größte Gefahr für die Zukunft Afrikas ein Rückfall in den Tribalismu­s (Stammesden­ken) wäre, wurde panafrikan­isches Denken verordnet, in der Hoffnung, wenigstens nationale Identitäte­n zu etablieren. Davon sind wir aber weit entfernt. Die panafrikan­ische Idee ist sehr beschädigt.

Am 28. November erklärte Abiy Ahmed den militärisc­hen Konflikt für beendet. Ist es tatsächlic­h vorbei?

Das ist richtig. Ich denke nicht, dass die Anführer der TPLF einen GuerillaKr­ieg beginnen werden. Dafür sind sie schlicht zu alt. Nun müssen wir in Tigray den Frieder wiederhers­tellen und das Land wiederaufb­auen. Ich glaube, Abiy Ahmed ist dafür der richtige Mann. Er ist der Hoffnungst­räger vieler Äthiopier, damit Äthiopien endlich zu einem Rechtsstaa­t wird und die Einheit des Landes in Vielfalt gewahrt wird.

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Dr. Asfa Wossen Asserate, Großneffe des letzten äthiopisch­en Kaisers Haile Selassie, erklärt in der „Krone“die gegenwärti­ge Lage im Land.
 ??  ?? Milizen in Äthiopien. Ob der Konflikt vorbei ist, ist ungewiss.
Milizen in Äthiopien. Ob der Konflikt vorbei ist, ist ungewiss.
 ??  ?? Der Staatspräs­ident von Äthiopien Ahmed Abiy.
Der Staatspräs­ident von Äthiopien Ahmed Abiy.
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Anführer der TPLF in Tigray: Debretsion Gebremicha­el.
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